Ohne Staat und Nation ist keine Demokratie zu machen. Die Demokratisierung von Nachbürgerkriegsgesellschaften
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Seit geraumer Zeit zählt die Demokratisierung zu den Standardtherapien, um ethnisch gespaltene Nachbürgerkriegsgesellschaften zu befrieden. Unser Projekt stellte diese Strategie insofern in Frage, als es untersuchte, ob die Demokratisierung überhaupt gelingen kann, wenn die Konfliktparteien einen gemeinsamen Staat ablehnen und keine staatlichen Institutionen mehr existieren, in denen alle Seiten agieren. Wir ermittelten, unter welchen Bedingungen der Aufbau einer Demokratie vorankommen kann, obwohl er vor der Doppelaufgabe der Staats- und Nationsbildung steht. Das Projekt analysierte Bosnien und Herzegowina, das Kosovo und Makedonien jeweils im Längsschnitt wie auch im Vergleich. Wie sich zeigte, erzielten die Bemühungen um Demokratie Teilerfolge. Freiheiten und Pluralismus wurden ausgeweitet, Regierungen und Parlamente halbwegs demokratisch gewählt. Zudem ging die politisch motivierte Gewalt deutlich zurück. In allen drei Gesellschaften blieben aber Defizite in Sachen Rechtsstaat. Vor allem in Bosnien und Herzegowina und im Kosovo litten die gewählten Institutionen unter Boykotten oder Boykottdrohungen; oft brachten sie nur wenige Beschlüsse zustande. In beiden Fällen wachten auch noch Ende 2010 Friedensmissionen über den Waffenstillstand und die demokratischen Abläufe, sodass offen blieb, ob die erzielten Fortschritte dauerhaft waren. Die Bildung demokratischer Institutionen kann trotz fehlender Zustimmung zum gemeinsamen Staat gelingen, wenn sie nicht von den Konfliktparteien selbst, sondern von Friedensmissionen mit weitgehenden Eingriffsrechten in Angriff genommen wird. Allerdings können externe Mächte die Konfliktparteien nicht dazu bewegen, den gemeinsamen Staat zu akzeptieren. Aufgrund dieser fehlenden Akzeptanz funktionieren die gewählten Institutionen nur schlecht und bleiben von Rückschlägen bedroht. Doch nicht alle Mängel an Demokratie gehen auf den Konflikt um die weitere Existenz des gemeinsamen Staates zurück. Diese gemischte Bilanz lässt jede Euphorie für die Friedensstrategie Demokratisierung verfliegen, sobald man sich vergegenwärtigt, dass die betrachteten Fälle im weltweiten Vergleich günstige Ausgangsbedingungen aufwiesen und vom außergewöhnlich großen Engagement externer Mächte profitierten. Daher dürfte die Demokratisierung in anderen ethnisch gespaltenen Nachbürgerkriegsgesellschaften zumeist geringere Erfolge erzielen. Gleichwohl sehen wir keinen Anlass, die Friedensstrategie Demokratisierung ganz zu verwerfen. Denn grundsätzlich bessere Erfolgsaussichten bieten auch vermeintliche Alternativen nicht, so die Optionen, eine Nachbürgerkriegsgesellschaft sich selbst zu überlassen, den umstrittenen Staat zu teilen, die Autokratie einer Konfliktpartei aufzubauen oder sich auf eine Friedenserhaltung zu beschränken. Anfang April 2009 standen die beiden Projektbearbeiter, Thorsten Gromes und Bruno Schoch, im Mittelpunkt einer Dokumentation der Sendung Nano auf 3sat. Dabei ging es aber vor allem um die allgemeine Tätigkeit als Friedensforscher. Einsichten aus dem Projekt flossen in die Beratung von PolitikerInnenn ein, darunter Entscheidungsträger in Bosnien und Herzegowina.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2009: Democratization of post-civil war societies: A mission impossible?, in: Europolis. Journal of Political Science and Theory, 5, 417-442
Gromes, Thorsten
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2009: The Prospect of European Integration and Conflict Transformation in Bosnia and Herzegovina, in: Journal of European Integration, 31: 4, 431-447
Gromes, Thorsten
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2009: Zwischen Zumutung und Versprechen. Die Demokratie in Makedonien, HSFK-Report 8/2009, Frankfurt am Main
Gromes, Thorsten
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2010: Federalism as a Means of Peace-Building: The Case of Postwar Bosnia and Herzegovina, in: Nationalism and Ethnic Politics, 16: 3-4, 354-374
Gromes, Thorsten