Wirtschaftliche Internationalisierung und korporative Marktwirtschaft. Tarifbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland, 1949-1975
Final Report Abstract
Das Forschungsprojekt förderte unter anderen folgende Erkenntnisse zutage: Erstens schärfte in den 1950er und 1960er Jahren die im Branchenvergleich früh und markant einsetzende wirtschaftliche Internationalisierung bei den Untemehmern und der Gewerkschaft der westdeutschen Textilindustrie das Bewusstsein für gemeinsame Interessen. Zwischen dem Ende der fünfziger und der Mitte der sechziger Jahre wurden zunehmend die ausländische Konkurrenz, vor allem jene aus Ostasien, als gemeinsame Gefahr und handelspolitische Schutzbemühungen als gemeinsame Chance aufgefasst. Aus Feinden, als die sich Untemehmer und Gewerkschafter in den 1950er Jahren wahrnahmen, wurden potenzielle Partner. Die wirtschaftliche Internationalisierung verstärkte demnach in der Textilindustrie die zeitgleiche branchenübergreifende Annäherung zwischen den westdeutschen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern, die sich in der Absage an den „Klassenkampf" und im Bekenntnis zur politischen und wirtschaftlichen Ordnung der Bundesrepublik niederschlug. Die neuen Konsense blieben aber bis zum Schluss des Untersuchungszeitraums prekär. Die Semantik der Partnerschaft und erst recht konkrete handelspolitische Kooperationsvorhaben lösten auf beiden Seiten lebensweltliche Dissonanzen aus. Doch während die straffe Organisationsstruktur es der Führung der Gewerkschaft Textil-Bekleidung ermöglichte, die inteme Opposition „auf Kurs" zu bringen, konnte die Spitze des Unternehmerverbandes Gesamttextil den Widerstand aus der Basis nicht überwinden. Eine zweite und dritte Erkenntnis besteht also darin, dass lebensweltliche, zutiefst normative Vorstellungen von Wirtschaftsakteuren die Verfolgung vermeintlich „objektiver" Interessen verhindern können, und dass sich die mittelständische Lebenswelt der Unternehmer letztlich als wirkungsmächtiger erwies als das rationale Kalkül der Führung von Gesamttextil. Eine vierte Erkenntnis ist schließlich, dass die Internationalisierung in der Textil- und vor allem in der nachgelagerten Bekleidungsindustrie bereits ab den 1960er Jahren zu bewirken begann, was im globalisierten Wettbewerb des 21. Jahrhunderts in den meisten Branchen zum Normalzustand geworden ist: die weitgehende Kooperationsbereitschaft und der abnehmende Handlungsspielraum der Arbeitnehmervertreter in der Bundesrepublik.