Transnationale Gemeinschaften und regionale Clusterdynamik. Das Beispiel der Diamantdistrikte in Antwerpen und New York
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war die Beschreibung und Analyse des Wandels existenter regionaler Clusterstrukturen infolge des Markteintritts transnationaler Unternehmer. Konkret galt es unter Rückbezug auf jüngere Arbeiten zum wissensbasierten Clusterkonzept zu erfassen, inwiefern das Engagement transnationaler Unternehmer mit der Umgestaltung clusterspezifischer Informationsflüsse und darauf beruhender Lernprozesse einhergeht. Die empirische Untersuchung erfolgte am Beispiel der Diamantindustrie, da sich diese durch einen zunehmenden Einfluss von Akteuren auszeichnet, die sich als transnationale Unternehmer konzeptualisieren lassen. Als Untersuchungsregionen wurden zwei industriedistriktähnliche Standortkonfigurationen in Antwerpen, dem traditionell bedeutendsten Zentrum für den Handel mit Rohdiamanten, und New York, dem weltweit wichtigsten Umschlagplatz für geschliffene Diamanten, ausgewählt. Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen mehrmonatiger Aufenthalte an den beiden Standorten und stützte sich auf die Durchführung von 120 leitfadengestützten Interviews mit Diamanthändlern, Diamantschleifern, Angehörigen den Sektor unterstützender Einrichtungen, Sektorexperten und sonstigen Akteuren (z. B. Familienangehörige von Diamanthändlern, Juweliere) sowie auf die Auswertung von Archivmaterialien und Sekundärstatistiken. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen, dass sich an den o. g. Standorten seit den 1960er Jahren ein steigender Einfluss einer Gruppe eng miteinander verbundener Großfamilien, aus dem indischen Bundesstaat Gujarat, sog. Palanpuris, beobachten lässt. Wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist die Tatsache, dass die Akteure über enge, vertrauenserfüllte soziale Netzwerke miteinander in Beziehung stehen, die ihnen nicht nur den Vergleich der Markt- und Produktionsbedingungen an den unterschiedlichen Standorten, sondern vielmehr die Kombination der Standortvorteile in globalen, durch hoch wettbewerbsfähige globale Wertschöpfungsketten charakterisierte Familienunternehmen gestatteten (Bezug von Rohdiamanten vom traditionellen Rohdiamantenhandelsplatz Antwerpen, Bearbeitung von (Kleinst-)Diamanten und fertigen Diamantschmuckstücken am Niedriglohnstandort Surat/Indien; Verkauf von geschliffenen Diamanten und Schmuckstücken in New York als dem Gateway zum weltgrößten Schmuckmarkt USA). Diese Entwicklungen blieben nicht ohne räumliche Konsequenzen für die historisch gewachsenen Clusterstrukturen: Hervorzuheben ist einerseits, dass sich die indische Industrie insbesondere aufgrund der niedrigen Arbeitskosten bei der Produktion arbeitsintensiver Güter (Diamanten, Schmuckstücke) zu einem starken Wettbewerber des verarbeitenden Gewerbes in Belgien bzw. den USA entwickeln konnte, was langfristig eine deutliche Ausdünnung der vertikalen Clusterstrukturen zur Folge hatte, die durch induzierte Standortverlagerungen einheimischer Unternehmen als Reaktion auf die Konkurrenz von außen noch weiter verstärkt wurde. Mit diesen Entwicklungen verbunden waren nicht nur Änderungen weiterer Clusterdimensionen (z. B. Machtdimension), sondern zugleich ein Wandel des industriellen Spezialisierungsprofils: Während Antwerpen traditionell auf die Bearbeitung kleiner Diamanten spezialisiert war, werden in Belgien heute ausschließlich große Diamanten produziert; in New York, ist ein auf die Herstellung mittel- bis niedrigpreisigen Schmucks spezialisierten Unternehmenssegment heute praktisch nicht mehr existent. Im Gegensatz zu der bisherigen Literatur über transnationale Unternehmer deuten die Projektergebnisse damit darauf hin, dass der von den transnationalen Unternehmern vorgenommene Wissenstransfer über die von ihnen geschaffenen globalen Pipelines langfristig zu einer Schwächung und ggf. sogar Auflösung historisch-gewachsener Clusterstrukturen fuhren können. Angesichts der Tatsache, dass transnationale Unternehmer im Rahmen der Globalisierung aller Voraussicht weiterhin an Bedeutung gewinnen, kann den hier nur angerissenen Entwicklungen damit ein hoher Erklärungsgehalt im Hinblick auf künftige globale Produktionsverlagerungen beigemessen werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2010). Bridging Ruptures. The Re-Emergence of the Antwerp Diamond District after World War II and the Role of Strategie Action. In: Fornahl, D., Henn, S. und M.-P. Menzel (Hrsg.): Emerging Clusters. Theoretical, Empirical and Political Perspectives on the Initial stage of Cluster Evolution. Northampton (u. a.), UK: Edward Elgar, 74-96
Henn, S.; Laureys, E.
- (2010). Indian Diamond Dealers in Antwerp. Patterns, Determinants, and Regional Implications of Economically Determined Transmigration. In: Die Erde 141 (1-2), 127-147
Henn, S.