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Eremitismus und die Kultur der Einsamkeit im mittelalterlichen Reich, 900–1300

Fachliche Zuordnung Mittelalterliche Geschichte
Förderung Förderung seit 2022
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 496310918
 
Moderne Einsamkeitsverständnisse haben weit zurückreichende historische Wurzeln, aber in jüngerer Zeit erfuhren sie eine Umdeutung, insofern Einsamkeit seit ca. 1900 als eine Abweichung von geltenden sozialen Normen begriffen, sogar pathologisiert wurde. In der Vergangenheit waren derartige Konzepte ambivalenter, gab es doch eine kulturell hochrelevante positive Deutung des Alleinseins. Sie nährte sich aus der Strahlkraft und Verbreitung des Eremitentums während der gesamten europäischen Vormoderne. Umfassendere Forschungen zu diesem liegen bislang für England, Frankreich und Italien vor, nicht aber für das mittelalterliche Reich. Eine systematische Erforschung dieses Phänomens existiert noch nicht, sodass man sich in einer ersten Annäherung an die sporadisch bekannt gewordenen ‚Einsamkeitsexperten‘ – Eremiten, Klausner-, Re- und Inklusinnen – halten muss. Von besonderem Interesse muss dabei die Frühgeschichte des sog. „Neuen Eremitentums“ sein, die mit der Mitte des 11. Jahrhunderts ansetzt und um 1200 abgeschlossen ist und während derer das Eremitenleben vorzugsweise ein Leben in einer Gruppe Gleichgesinnter wird.. Diese Phase steht im Zentrum unseres Forschungsprojekts, wobei eine hinlängliche Vor- und Nachgeschichte ebenfalls Berücksichtigung finden soll (Gesamtzeitraum 900–1300). Ziel des Projektes ist es, mit einer Kombination aus quantitativer Erhebung und qualitativen Studien flächig neue Erkenntnisse zur Geschichte des Eremitismus im Reich zu erschließen und so das Projekt einer Kulturgeschichte der Einsamkeit voranzutreiben. Im Zentrum der quantitativen Erhebung steht die Erarbeitung einer Open Access-Personendatenbank unter dem Arbeitstitel „REKMAR“ („Repertorium der Eremit*innen und Klausner*innen im mittelalterlichen Reich“), in der die im Reich nachweisbaren Eremit*innen im besagten Zeitraum verzeichnet werden. Auf dieser werden unsere qualitativen Untersuchungen der soziokulturellen Bedingungen und Kontexte des Eremitenlebens aufbauen, das wir als eine kulturell relevante, für andere Lebensentwürfe vorbildhafte Sonderform des Lebens in der Gruppe ansehen. Unsere leitenden Fragestellungen sind darin zwei übergeordneten Erkenntniszielen zugeordnet: 1) einer Sozialgeschichte im Sinne einer Gruppengeschichte des Eremitentums, die untersucht, ob sich das sogenannte „Neue Eremitentum“ mit eigener Spezifik und Interaktion mit der Umgebung ausmachen lässt, welche Unterschiede zwischen Männern und Frauen in ihrer Entscheidung für eine bestimmte Form der Einsamkeit oder der Einschreibung der Askese in den Körper bestehen und wie sich die Einsamkeitsrealitäten von Männern und Frauen aufeinander beziehen; und 2) einer Diskursgeschichte der Einsamkeit, die Konzepten von Einsamkeit, der Rolle von Symbolen, Mythen und Erinnerungsorten sowie den kulturellen Auswirkungen des Alleinseins auf Vorstellungen und gängige Selbstpraktiken, etwa dem gelehrten Habitus oder der speziell von Frauen erwarteten Frömmigkeit, nachgeht.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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