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Therapeutisierung des Strafvollzugs in Westdeutschland, 1961-1985: Der Fall Nordrhein-Westfalen

Antragsteller Dr. Marcel Streng
Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2022 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 508783012
 
Wenn der Strafvollzug gegenwärtig in den Medien thematisiert wird, geschieht dies oft aus gegensätzlichen Perspektiven. Einerseits wird das Gefängnissystem gerügt, es sei nicht sicher genug, wenn etwa einem als besonders gefährlich geltenden Gefangen auf spektakuläre Weise die Flucht gelingt. Andererseits erntet der Strafvollzug ebenso scharfe Kritik, wenn sich ein Häftling das Leben nimmt, weil der »Behandlungsvollzug« ihm nicht die zu seiner Resozialisierung notwendige therapeutische Hilfe leistete. Gesteigerte Sicherheit und therapeutische Hilfen scheinen sich auszuschließen. Das Vorhaben geht solchen Problematisierungen des Strafvollzugs zeithistorisch auf den Grund. Es fragt nach den Entstehungs- und Existenzbedingungen des sogenannten »Behandlungsvollzugs« in Westdeutschland von 1965 bis 1985. Das Projekt basiert auf der These, dass das Gefängnissystem – wie zeitgleich andere Bereiche der Gesellschaft – von einem Prozess der Therapeutisierung erfasst wurde, der die Sozial- und Selbstverhältnisse in diesem Feld mittelfristig erheblich veränderte. Da Strafvollzugspolitik Ländersache war, will das Vorhaben am Fall der Justizverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen darlegen, in welcher Breite und Tiefe sozial- und psychotherapeutisches Wissen sich in den Anstalten verbreitete, welche Praktiken der Behandlung daran anschlossen und welche Folgen sie zeitigten. Ziel des Projektes ist zum einen die dezidierte Historisierung der reformpolitischen Maßnahmen im Strafvollzug und der Diskurse über ihren ›Erfolg‹ bzw. ihr ›Scheitern‹, und zum anderen die Einordnung der strafvollzugsspezifischen Entwicklungen in den sozial- und medizinhistorischen Kontext der »Therapeutisierung des Sozialen« in Westdeutschland, Westeuropa und den USA seit Mitte der 1960er Jahre. Beabsichtigt erstens ist damit ein Beitrag zur Geschichte des Strafvollzugs in Westdeutschland nach 1945. Anders als im Fall der Psychiatrie, der Heimerziehung oder der politischen Haft in der ehemaligen DDR steht die zeithistorische Forschung diesbezüglich noch am Anfang. Dabei wird zweitens aus zeithistorischer Perspektive die nach wie vor hochaktuelle Problematik beleuchtet, wie mit Straffälligen im geschlossenen Vollzug umgegangen wird und werden soll. Das betrifft das umfangreiche Angebot (psycho)therapeutischer Verfahren und sozialer Hilfen, aber auch die Behandlung derjenigen, die sich diesem Angebot verweigern. Drittens trägt die Untersuchung zur Geschichte der »Therapeutisierung des Sozialen« seit Ende der 1960er Jahre bei, womit hier konkret der Auf- und Ausbau psychowissenschaftlicher Fachdienste und das Eindringen von Psychowissen, therapeutischer Verfahren und Beratungstechniken in den Strafvollzug gemeint ist. Aus medizinhistorischer Sicht wird viertens die Diskussion über die »Entgrenzung der Medizin« historisiert, da es um die Übernahme und Veränderung forensisch-psychiatrischer Aufgaben durch Psychologen, Therapeuten und Sozialarbeiter im Strafvollzug in den 1970er Jahren geht.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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