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Empathie und Störung. Praxen, Poetiken und Traditionen der literarischen Verhandlung von rechter Gewalt in der Demokratie
Antragsteller
Professor Dr. Matthias N. Lorenz
Fachliche Zuordnung
Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung
Förderung seit 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 509100121
Während NS-Verbrechen und RAF-Terror breit aufgearbeitet sind, erscheint der rechte Terror in der Demokratie als blinder Fleck der literarischen und literaturwissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Das Projekt fragt ausgehend von zwei Leitbegriffen nach den Gründen hierfür: Empathie und Störung. Dazu werden zwei Untersuchungsbereiche in den Blick genommen, die einander bedingen und herausfordern: Dominanzkultur und postmigrantische Literatur. Im Literaturbetrieb der Mehrheitsgesellschaft sind v.a. nicht-weiße und migrantische Betroffene der rechten Gewaltandrohung kaum repräsentiert und werden nur selten gehört. Ihre Erfahrungen fordern die Basiserzählung einer ‚bewältigten‘ NS-Vergangenheit heraus. Das Projekt untersucht einerseits die Darstellungsweisen des literarischen ‚Mainstreams‘, die sowohl zur Verweigerung von Empathie als auch zur Parteinahme für die Betroffenen beitragen, aber auch Einfühlung mit Täter*innen ermöglichen können. Es will so die Akzeptabilitätsbedingungen eines Schreibens über rechte Gewalt sichtbar machen. Das Projekt hinterfragt die Rolle anerkannter Literat*innen im Vorfeld neurechter Kulturkämpfe und die engagierte rechte Literatur im Hinblick auf deren Störpotenzial. Literatur erweist sich jedoch auch als ein Medium der Kritik solcher Diskurse und kann der Selbstermächtigung betroffener Gruppen dienen, die widerständige, störende und innovative Schreibweisen und Inhalte wählen. Das Projekt geht davon aus, dass rechte Gewalttaten Botschaftsverbrechen sind. Daher erscheint die Anerkennung der hiervon Betroffenen und die Erinnerung ihres Leids konstitutiv für den Zusammenhalt einer pluralen Gesellschaft. Gerade die Literatur kann hierbei – als diskursives Medium gesellschaftlicher Selbstbeobachtungen, produktiver Erinnerungskonkurrenzen wie auch der Intervention – Perspektiven aufzeigen, mithilfe derer Platzzuweisungen überwunden werden können. Zugleich vermag Literatur als experimenteller Möglichkeitsraum, Empathie mit unterschiedlichen Parteien zu erproben, andere Perspektiven zu übernehmen und durch Störelemente Regeln und Grenzen sichtbar zu machen. Sie kann dazu beitragen, Diversität produktiv anzuerkennen, aber auch manipulativ zu unterbinden. Ziel ist es, Archive eines Schreibens über rechte Gewalt in der Demokratie freizulegen. Dabei werden Traditionslinien deutlich, die ein kommunikatives Beschweigen sowie das Aufbegehren dagegen fassbar machen. Der Fokus liegt dabei auf dem Zeitraum seit 1980, in dem paradigmatisch unterschiedliche Tendenzen der Literatur über rechte Gewalt deutlich werden. Die Potentiale der Literatur in einem Diskurs um Anerkennung sollen im Projekt historisch-systematisch erschlossen und auch für eine künftige Literaturdidaktik zum Thema rechter Gewalt vermittelt werden. Zudem will das Projekt einen Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Störungsforschung leisten, Empathie als Wahrnehmungsinstrument für die Analyse einsetzen und die Kategorie ‚postmigrantisch‘ für die NDL produktiv machen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen
Internationaler Bezug
Polen
Kooperationspartnerin
Professorin Dr. Gudrun Heidemann