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Zur Entwicklung einer kritischen Theorie der Ignoranz: Antworten von Wissenschaft, Politik, und Mythos in Zeiten der Ungewissheit

Antragstellerin Dr. Carmen Dege
Fachliche Zuordnung Politikwissenschaft
Förderung Förderung von 2022 bis 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 509538439
 
Mein Buch "Zur Entwicklung einer Theorie der Ignoranz: Antworten von Wissenschaft, Politik und Mythos in Zeiten der Ungewissheit" diskutiert, wie Demokratien auf Ungewissheit reagieren. Ich argumentiere, dass Ungewissheit aus zwei Hauptgründen ein akutes Problem darstellt: Erstens haben sich die Bedingungen der Ungewissheit geändert. Wir haben es nicht mehr hauptsächlich mit Krisen zu tun, die einen Anfang und ein Ende kennen, sondern mit komplexen Instabilitäten ohne eindeutige Lösung. Zweitens offenbaren die beiden Standard-Modi, mit denen demokratische Gesellschaften in der modernen Geschichte üblicherweise auf Ungewissheit reagierten, erhebliche Einschränkungen. Unter Bezugnahme auf die in der Regel Max Weber zugeschriebene Tatsachen-Werte-Unterscheidung definiere ich diese beiden Antworten als Modi der "Wissenschaft" und der "Politik". Erstere kontrolliert Ungewissheit durch Fakten, rationale Politik und Expertenwissen (z. B. Epistokratie, Technokratie), während letztere Ungewissheit in Form von Citizen Science oder agonistischer Politik institutionalisiert (z. B. radikale, deliberative, epistemische Demokratie). Der erste Teil des Buches untersucht Grenzen und Probleme dieser beiden Antworten auf die Herausforderung der Ungewissheit und thematisiert insbesondere die zunehmende Epistemisierung der Politik in Momenten der Krise und die sich wechelseitig verstärkenden Tendenzen von Technokratie und Populismus. Der zweite Teil entwickelt eine Kritik am Tatsachen-Werte-Paradigma, indem er Formen der Ignoranz als eine dritte Antwort auf Ungewissheit erforscht. Ich entwickele eine kritische Theorie der Ignoranz indem ich (1) die Tradition des politischen Mythos untersuche und (2) die Rolle von Ignoranz und Nichtwissen im Werk von Max Weber beleuchte. Dabei lässt sich ein konzeptioneller Übergang von Formen der "willentlichen Ignoranz" hin zu Formen der "gelernten Ignoranz" festhalten. Während willentliche Ignoranz eine Position von ihren Grenzen isoliert, um die Gewissheit einer Überzeugung zu verteidigen, stützt sich gelernte Ignoranz auf die Mehrdeutigkeit von Glaubensstrukturen als Möglichkeit und Resource um in Situationen der Ungewissheit leben und handeln zu können. Im letzten Teil des Buches greife ich diese Analyse der Ignoranz auf, um einen alternativen Ansatz zu Postfaktizität zu entwickeln. Dabei liegt der Fokus nicht auf gegenwärtig verbreitete Formen der Faktenprüfung und dem Anprangern von "politisch nicht korrekten" Praktiken, sondern auf Modi des "Als Ob", die ich am Beispiel der Umweltphilosophie erläutere. Insbesondere stelle ich Kriterien einer erfolgreichen Mythenkritik vor, die zwischen dem Gewinnen eines Arguments und dem Erzählen einer besseren Geschichte unterscheiden, wobei Geschichten, die weniger auf eine Rückgewinnung von Gewissheit abzielen, das Gefühl der Unausweichlichkeit und Ohnmacht zu lösen vermögen, die durch hegemoniale Vorstellungen von Natur und ihrer Verwurzelung in Ursprungsmythen zementiert werden.
DFG-Verfahren WBP Stipendium
Internationaler Bezug USA
 
 

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