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Shelter technologies in action: Humanitäre Geographien prekärer Unterbringung jenseits von Nord-Süd Dualismen
Antragstellerinnen
Professorin Dr. Nadine Marquardt; Professorin Dr. Julia Verne
Fachliche Zuordnung
Humangeographie
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 513747054
84 Millionen Menschen haben in den letzten Jahren aufgrund von Konflikten und Naturkatastrophen ihr Zuhause verloren (UNHCR, 2021). Ein Großteil dieser Menschen befindet sich in Ländern des Globalen Südens. Extremereignisse wie Überflutungen und Waldbrände, die „schleichende“ Krise der Wohnungsmärkte und die gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen sorgen jedoch auch im Globalen Norden für Wohnraumverluste. Die Bereitstellung von Notunterbringung – in Form sogenannter shelter kits – ist eine zentrale humanitäre Antwort auf diese Krisen. Boxen gefüllt mit shelter-Technologien, die neben einem provisorischen Obdach (Zelte, Hütten) auch Werkzeug, Medikamente und Hygieneartikel enthalten, stehen dazu in Logistikzentren zur sofortigen Verschiffung im Katastrophenfall bereit. Unter dem Schlagwort humanitarian design ist in den letzten Jahren eine größere Bewegung entstanden, die sich auf die Optimierung dieser Nothilfegüter konzentriert und verspricht, dadurch vielfältigsten Krisensituationen gerecht zu werden. Neben klassischen Akteuren der humanitären Hilfe sind hier eine Reihe von Start-ups, aber auch große Unternehmen mit Logistikerfahrung wie IKEA aktiv. Ziel ist es, shelter kits so zu gestalten, dass ihr Design universelle Grundbedürfnisse, lokal spezifische Erfordernisse und die Anforderungen globaler Logistik miteinander vereint. Das beantragte Projekt setzt sich zum Ziel, die humanitären Räume zu untersuchen, die durch die Bereitstellung von shelter-Technologien entstehen. Aufbauend auf aktuellen Debatten der Wissenschafts- und Technikforschung und ihrer Zusammenführung mit neuen Fragen der geographischen Wohnforschung geht es darum, diese Technologien nicht nur in ihrer diskursiven Formation zu verstehen, sondern auch ihre praktischen Implikationen stärker in den Blick zu nehmen. Im Sinne bekannter follow-the-thing-Ansätze verfolgt das Projekt somit ausgewählte shelter kits von den Räumen, in denen sie entworfen und produziert werden, weiter in logistische Zentren und von dort zu unterschiedlichen Einsatzorten. In der Verbindung dieser Stationen wird es möglich, (1) die biopolitischen Leitbilder und Annahmen aufzuzeigen, die der Gestaltung von shelter kits zugrunde liegen und diese kritisch zu hinterfragen, (2) zu erschließen, wie shelter-Technologien und humanitäre Hilfe durch die Anforderungen globaler Logistikketten mitbestimmt werden, und (3) zu untersuchen, wie sich das – oft Monate andauernde – Alltagsleben mit den Notbehausungen tatsächlich gestaltet. Dabei geht es nicht um eine Evaluation der Funktionalität von Notbehausungen, sondern um die Analyse der neuen Formen von Humanitarismus und Biopolitik, die in den shelter kits zum Ausdruck kommen. Indem das Projekt dabei auf aktuelle Einsatzorte von shelter kits in Nordeuropa und Ostafrika fokussiert, überwindet es zugleich konzeptionelle Nord-Süd-Dualismen in der bisherigen Analyse humanitärer Hilfe und trägt so zur Weiterentwicklung relationaler Theorieperspektiven bei.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen