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Pseudorealismus und die Rhetorik der Affektdarstellung. Studien zum bildhauerischen Werk des Niclaus Hagenower

Fachliche Zuordnung Kunstgeschichte
Förderung Förderung von 2007 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 51605506
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Niclaus Hagenower war ein oberrheinischer Bildschnitzer, dem u.a. die Skulpturen des berühmten Isenheimer Altars, heute in Colmar, zugeschrieben werden. 1493 erwarb Hagenower das Straßburger Bürgerrecht, dort ist er bis 1526 nachweisbar. Seine Werkmonographie hat zuletzt Vöge 1931 vorgelegt Hagenowers Bildwerke wurden bislang einzig stilkritisch untersucht. Mit ihrer Studie erarbeitete Dr. des. Berenike Berentzen die Grundlagen eines methodischen Analysemodells zur Erschließung der Darstellung von Emotionen bei Hagenower. Sein fragmentiertes Werk wird nicht wesentlich durch erneute Zu- oder Abschreibungen rekonstruiert, sondern erstmals unter einem zentralen Aspekt gedeutet: Hagenowers Repräsentationen von Affekten werden im Lichte mittelalteriicher Affektenlehren sowie der Funktion der Emotionen in der sog. affektiven Frömmigkeit betrachtet. Die Autorin systematisiert Hagenowers Übertreibungsformen erstmals mit der rhetorischen Figur der amplificatio als Kunst der Überzeugung und analysiert seine Heiligenfiguren emotionsspezifisch. Das rhetorische Bildmittel der Ausdruckssteigerung, oder Effektverstärkung (amplificatio) dient als inventorisches Mittel des affectus: Hagenowers Bildwerke fordern über den produktiven Affekt des Staunens zur Umkehr auf. Sie sollen zu (wahrer) Reue und Buße bewegen. Die Frage nach der Funktion - und deren ästhetischer Venmittlungsstrategie - etwa des Saverner Himmelfahrtreliefs (um 1496) wird im Rahmen der Aufstiegskonzeptionen der Emotion und Erkenntnis in der Meditationspraxis erläutert. Zur Überprüfung des integrativen Theoriekonzepts „Fühlen und Erkennen" untersucht Berentzen die theologischen und philosophischen Grundlagen der augustinisch-thomistischen und scotisch-ockhamistischen Tradition, die bis in das 15. Jh. zu Jean Gerson und Johannes Geiler von Kaysersberg führen. Fragen an die historische Emotionstheorie werden mit aktuellen Fragen der Emotionsforschung verbunden: Berentzen setzt bei der Analyse von historischen Zeugnissen moderne universalistische, sozialkonstruktivistische sowie phänomenologische Ansätze und solche der analytischen Philosophie ins Verhältnis. In komparatistischer Perspektive werden Hauptmotive und strukturelle Parallelen zwischen antiken und mittelalterlichen Affektenlehren bis zur modernen Emotionsforschung verfolgt. Durch die systematisch-begriffliche Arbeit am historischen Material haben die vorgelegten Ergebnisse zugleich Modellcharakter für die Darstellung der Emotionen im Spätmittelalter.

 
 

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