Detailseite
Die kognitive Revolution in der therapeutischen Praxis: Wissenschaftsideale und Subjektivierungstechniken in der kognitiven Psychotherapie von Aaron Beck, 1950-1990
Antragstellerin
Professorin Dr. Lisa Malich
Fachliche Zuordnung
Wissenschaftsgeschichte
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 516932573
Seit den 1960er Jahren hat sich die kognitive Therapie zur am weitesten verbreiteten Form der Psychotherapie in westlichen Gesellschaften entwickelt. Dieser Erfolg wird häufig mit ihrer Verwurzelung in der Wissenschaft erklärt: Die kognitive Therapie solle nicht nur aus der kognitiven Revolution der 'cognitive sciences' hervorgegangen sein, sondern habe ihre therapeutische Wirksamkeit schon früh in randomisierten kontrollierten Studien nachgewiesen. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass auch die therapeutische Praxis von wissenschaftlichen Standards geprägt ist. Denn die kognitive Therapie zielt darauf ab, mehr Rationalität in das Denken von Patient*innen zu bringen. In dem geplanten Forschungsprojekt soll die Geschichte der kognitiven Therapie untersucht werden, wobei ein besonderes Augenmerk auf ihrem Verhältnis zu Wissenschaftlichkeit liegt, ebenso wie auf Subjektivitätsnormen der am therapeutischen Prozess beteiligten Patient*innen und Therapeut*innen. Dabei sollen besonders die epistemischen, kulturellen, sozialen und ökonomischen Bedingungen, die zu Entstehung und Zirkulation der kognitiven Therapie führten, einbezogen werden. Zu diesem Zweck werden wir uns auf den für die kognitive Therapie zentralen Ansatz von Aaron T. Beck konzentrieren, den wir in der Phase seiner Gründung und Etablierung von 1950 bis 1990 in den U.S.A. nachverfolgen werden. Auf Grundlage einer historischen Epistemologie, kombiniert mit historischer Diskursanalyse und praxeologischen Ansätzen, werden wir unveröffentlichtes Quellenmaterial aus dem Beck-Archiv, Publikationen und Zeitzeugeninterviews mit Praktiker*innen und Patient*innen untersuchen. Bislang ist eine Beschäftigung mit der kognitiven Therapie in der Wissenschaftsgeschichte ausgeblieben. Wir konnten vorläufig fünf historische Kontexte identifizieren, die zur Entwicklung der kognitiven Therapie als explizit wissenschaftlichem Ansatz beigetragen haben: der interprofessionelle Wettbewerb im Feld der psychischen Gesundheit; die Rolle klinischer Studien im Rahmen der Legitimationskrise der US-Psychiatrie; die kognitive Revolution, die zur Konstituierung der Kognitionswissenschaften führte; allgemeine Ideale von Wissenschaftlichkeit in den USA der Nachkriegszeit; und der Aufstieg politischer Bewegungen und deren Rhetorik sozialer Revolutionen. Unsere Ausgangsüberlegung ist, dass sich die kognitive Therapie nicht als monolithischer Denkstil entwickelt hat, der allein wissenschaftlichen Idealen folgt, sondern als dynamische, sich verändernde und nur relativ kohärente Assemblage von therapeutischen und Forschungspraktiken mit spezifischen normativen Auswirkungen auf Subjekte. ‚Wissenschaft‘, so unsere These, hatte in der Entwicklung der kognitiven Therapie mindestens vier Funktionen: als diskursives Ideal der Grenzarbeit, als Form symbolischen Kapitals, als Mittel zur Standardisierung und Zirkulation von Praktiken und als Technologie des Selbst.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen