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Ein "Linguistic Turn" in der spätmittelalterlichen islamischen Geistesgeschichte: Die Suche nach sprachlicher Bedeutung in den Kommentaren zu al-Risāla al-waḍʿiyya (1350-1550)
Antragsteller
Dustin Klinger, Ph.D.
Fachliche Zuordnung
Geschichte der Philosophie
Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Islamwissenschaft, Arabistik, Semitistik
Förderung
Förderung von 2023 bis 2024
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 522527571
In der nachklassischen (etwa 1200-1600) islamischen Geistesgeschichte, ein Gebiet, das weitgehend unerschlossen bleibt, kristallisierte sich eine eigenartige wissenschaftliche Disziplin mit dem Namen ʿilm al-waḍʿ (wörtlich: Zuweisungswissenschaft) heraus. Diese Wissenschaft wurde erst im 14. Jahrhundert kodifiziert, ein Zeitpunkt, zu dem die traditionellen islamischen Wissenschaften längst ihre vollendete Form gefunden hatten. Ziel dieser Wissenschaft war es, eine systematische Theorie vorzulegen, die erklärt, wie Allah allen Bedeutungen Ausdrücke zugewiesen hat. Während andere arabische Sprachwissenschaften wie ʿilm al-naḥw (Grammatik), ʿilm al-ṣarf, (Morphologie), ʿilm al-ishtiqāq (Etymologie), oder ʿilm al-lugha (Lexikographie) allesamt Entsprechungen in der abendländischen Tradition haben, ist ʿilm al-waḍʿ ein schwer zu fassendes Phänomen für die wenigen westlichen Forscher geblieben, die überhaupt darauf aufmerksam geworden sind. Als eine Wissenschaft, die sich vorrangig mit Allahs Erschaffung der arabischen Sprache beschäftigt, wurde sie weithin als Randerscheinung und als Hilfswissenschaft für wichtigere islamische Wissenschaften wie Koranexegese oder Theologie angesehen. Da man von einer spezifisch islamischen Ausrichtung und einer direkten Abhängigkeit von den Eigentümlichkeiten arabischer Grammatik ausging, hat diese Wissenschaft, die ohnehin schwer verständlich blieb, nicht das Interesse westlicher Forscher wecken können. Aufgrund meiner bisherigen Forschung gehe ich davon aus, dass wenn das umfangreiche und zu Unrecht vernachlässigte Korpus von Schriften zu ʿilm al-waḍʿ im rechten ideengeschichtlichen Kontext gesehen wird, man das Aufkommen und die Entwicklung dieser Wissenschaft als ein grundlegendes fundamentalsemantisches Programm verstehen muss, ähnlich dem, was wir heute unter Sprachphilosophie verstehen. Verfasser von Texten zu ʿilm al-waḍʿ sahen sich gezwungen, eine umfassende arabische Bedeutungslehre (im Gegensatz zu einer Peripatetischen) zu entwickeln, die jedoch im Einklang mit bestehenden logischen und linguistischen Theoriebildungen zu stehen hatte. In diesem Sinne musste die Bedeutungslehre unabhängig von islamischen Grundannahmen und den Eigenheiten arabischer Grammatik anwendbar sein. Der namensgebende Gründungstext dieser neuen Wissenschaft, al-Risāla al-waḍʿiyya von dem Theologen-Philosophen ʿAḍud al-Dīn al-Ījī (d. 1356), passt auf ein einziges Folio, löste jedoch eine immense Kommentartradition aus. Wir wissen von über 44 Kommentaren, von denen einige über 100 Seiten lang sind. Diese Kommentare, von denen der Großteil weder erschlossen noch ediert ist, enthalten differenzierte und hochtechnische Abhandlungen über Fragen, die wir heute der modernen Sprachphilosophie zuordnen würden. Mein Forschungsvorhaben ist es, das Korpus dieser Handschriften zu erschließen und zu analysieren, um diesen "linguistic turn" in der spätmittelalterlichen islamischen Geistesgeschichte zu untersuchen.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen