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Doing Youth im Tagebuch. Tagebücher von Heranwachsenden als jugendkulturelles Phänomen (1830–1930)
Antragstellerin
Dr. Sylvia Wehren
Fachliche Zuordnung
Allgemeine und Historische Erziehungswissenschaft
Förderung
Förderung seit 2023
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 525538148
Tagebücher gelten als wichtige Medien der Adoleszenz, weshalb sie in vielfältige Forschungen einbezogen sind. Basierend auf einem Korpus historischer Tagebücher von Heranwachsenden aus den Jahren 1830 bis 1930 zielt das Projekt auf die Erforschung der Herausbildung des Phänomens Jugend im Medium Tagebuch und damit auf eine erstmalige Rekonstruktion der Geschichte des modernen Jugendtagebuchs. Das Vorhaben gründet sich auf der These, dass sich im Verlauf des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Tagebuch von einem primär pädagogisch eingesetzten Medium, das Heranwachsende oftmals unter Aufsicht und unter Maßgabe erzieherischer Absichten führten, zu einem stärker von Jugendlichen angeeigneten Raum wandelt, der durch Praktiken des doing youth gekennzeichnet ist. Untersucht werden soll, ab wann sich Heranwachsende im Tagebuch als Jugend, Jugendliche und jugendlich verstehen und wie sie sich in dieser Hinsicht das Medium aneignen. Da Gefühle eine zentrale Dimension der Praktiken jugendlicher Subjektivierung im Tagebuch darstellen, liegt ein Akzent der Analysen auf der Frage, welche Gefühlsordnungen an die Entstehung jugendlicher Tagebuchkulturen gebunden sind. Tagebücher werden in der Untersuchung als geschichtlich veränderliche, in unterschiedlicher Funktion stehende, kommunikative und multimediale Räume verstanden, die Kindern und Jugendlichen, die in besondere Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse eingebunden sind, differente Subjektivierungspraktiken ermöglichen. Ein besonderes Merkmal der Studie ist der intersektional orientierte Zugang, der hinsichtlich der Herausbildung von Jugendkultur im Medium Tagebuch auf den Konnex von Geschlecht und sozialer Herkunft fokussiert und dabei Religiosität berücksichtigt. Das Korpus wird sowohl auf Tagebücher aus groß-, bildungs-, wirtschaftsbürgerlichen und adeligen Kontexten begründet als auch auf Schriften aus kleinbürgerlichen, handwerklichen, (sub-)proletarischen und bäuerlichen Milieus. Es wird gefragt, wie sich im deutschsprachigen Raum die soziale Herkunft auf die jugendkulturelle Aneignung des Mediums auswirkt und welche geschlechterdifferenten Praktiken dabei zu erkennen sind. Das Vorhaben weist deutlich über bisherige Untersuchungen hinaus, u.a. da die Bestände historischer Jugendtagebücher für die Zeit zwischen 1830 und 1930 bislang weder übergreifend erfasst noch systematisch bearbeitet sind. Zudem gibt es für diese frühe historische Phase keine Untersuchung zum Begriff und zum Phänomen Jugend, die auf einer größeren geschlechts- und sozialheterogenen Sammlung jugendlicher Selbstzeugnisse beruht. Damit leistet das Projekt einen Beitrag zur Selbstzeugnisforschung in der Jugendgeschichte und verfolgt zugleich die Grundlegung einer bildungshistorisch ausgerichteten Jugendtagebuchforschung. Methodisch bezieht sich das Projekt im Rahmen praxeologischer Überlegungen auf Ansätze der Diskurs- und Artefaktanalyse, diese werden durch (kollektiv-)biografische Perspektiven ergänzt.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen