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Kontingenz als Schlüsselelement zeitgenössischer Geschichtlichkeit.

Fachliche Zuordnung Praktische Philosophie
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Politikwissenschaft
Förderung Förderung seit 2023
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 525884836
 
In den letzten zwanzig Jahren hat sich der Kontingenzbegriff zu einem der Schlüsselkonzepte in den Geistes- und Sozialwissenschaften entwickelt. Vor allem fand er sowohl in der Soziologie als auch in der Politikwissenschaft Anwendung. Dadurch werden heute jene Phänomene des zeitgenössischen Lebens untersucht, die sich durch wesentliche Funktionen, stabile Strukturen oder regelmäßige Prozesse unzureichend erklären lassen. Kontingenz bezieht sich nicht nur auf Zufälle oder unvorhersehbare Ereignisse, sondern weist auch auf die Möglichkeit einer anderen Ordnung der Dinge hin, anders als wir sie für selbstverständlich halten. Angesichts der allgemeinen Nachfrage nach einem gültigen Kontingenzkonzept fällt es auf, dass man von ihm in der modernen Geschichtstheorie nicht allzu oft Gebrauch macht. Das vorliegende Projekt hat zum Ziel, mit Hilfe des Kontingenzkonstrukts wichtige Aspekte der zeitgenössischen Historizität zu beleuchten, welche wir mit dem Konzept von Präsentismus nicht erreichen können. In Anlehnung an François Hartog wird Präsentismus als jene Ordnung der Beziehungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verstanden, in der die Interessen der Gegenwart vorherrschen. Der Präsentismus hat laut Hartog das "moderne Regime der Historizität" abgelöst, in dem die Zukunft dominierte und die Vergangenheit von der Gegenwart getrennt war. Das moderne Regime trug zur Entwicklung der wissenschaftlichen Geschichte bei. Nachdem jedoch die "Tyrannei der Zukunft" überwunden war, erwies der Präsentismus dem professionellen historischen Wissen keinen Dienst mehr. Der Sieg des Präsentismus - der Sieg flüchtiger Interessen über langfristige Wertorientierungen - führt zur Verwischung der Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zur Instrumentalisierung der Geschichte, rechtfertigt ihre Mythologisierung und ihre im großen Maße zynische Verwendung in den Händen derer, die behaupten, über die Gegenwart zu herrschen. Und doch haben wir es - im Gegensatz zu dem, was die Theoretiker von Präsentismus behaupten - mit einer äußerst zerbrechlichen, widersprüchlichen und verletzlichen Gegenwart zu tun als jemals zuvor. Die Gegenwart hat ihre Selbstgenügsamkeit und ihre Überlegenheit gegenüber der Vergangenheit verloren. Sie ist heute so asynchron sowie nicht mit sich selbst identisch, dass sie sich in eine Vielzahl von zeitlichen Ordnungen schichten lässt, die nicht miteinander synchronisiert werden wollen. Eine solche Gegenwart veranlasst uns, über ein neues "Regime der Historizität" nachzudenken, in dem nicht der chronos, sondern der kairos, nicht ein Prozess, sondern ein Ereignis im Vordergrund steht. Welche intellektuellen Ressourcen stehen uns zur Verfügung, um eine solche Historizität zu durchdenken, und welche praktischen Konsequenzen kann ein solches Denken für die Geschichtsschreibung und das Verständnis ihres Platzes im öffentlichen Raum haben das sind die zentralen Fragen meines Forschungsprojekts.
DFG-Verfahren WBP Stelle
 
 

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