Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit. Die publizistische Darstellung politischer Konflikte im Heiligen Römischen Reich (1648-1750)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Mediensystem der politischen Publizistik im frühmodernen Deutschland war ein Ausdifferenzierungsprodukt der statifikatorischen Gesellschaft und entwickelte sich in Interdependenz mit der politisch-rechtlichen Verfassungsordnung zu zunehmender Selbständigkeit. Dabei profitierte es davon, stets auf eigene, am Markt gewonnene Finanzmittel zurückgreifen zu können und von staatlichen Transferleistungen weitgehend unabhängig zu sein. Verleger und Redakteure nahmen das "Agenda-Setting" nach eigenen Kriterien vor, eher vom Nachrichtenwert (im Sinne von Jürgen Wilke) als von staatlichen Sprachregelungen geleitet. Die Leserschaft bestand zunächst aus der höfischen Machtelite und den werdenden und arrivierten Gelehrten, reichte jedoch schon im 17. Jahrhundert darüber hinaus, wobei die Rezeption durch die Ungelehrten das gesamte 18. Jahrhundert hindurch anwuchs. Der staatliche Zensuranspruch im Reich wurde dabei vielfältig durchlöchert: Zum einen war das Mediensystem grenzübergreifend tätig. Was am einen Ort nicht gedruckt wurde, durfte woanders durchaus erscheinen. Zum anderen waren militärische Entscheidungen ohnehin nicht lange geheimzuhalten. Zum dritten erwartete die Leserschaft allgemein, auch die hochadlige, eine korrekte Berichterstattung und keine offiziellen Lügen. Zum vierten gewöhnten sich die Regierungen an die Presse und fütterten sie mit Nachrichten, sowohl zur eigenen Selbstdarstellung als auch zur Abwehr fremder Ansprüche und Deutungen, Praktiken, die aus der politischen Gremienarbeit (Reichs- und Kreistage; Friedenskongresse; Reichsgerichtsverfahren) bereits bekannt waren und nun in Richtung der medialen Öffentlichkeit verlängert wurden. Dabei kam dem Mediensystem die Konkurrenz der Machtzentren zugute, sowohl die internationale (zwischen den Monarchen) als auch im Reich die vertikale (zwischen Kaiser und Reichsständen) und die horizontale (zwischen den Adligen jeweils einer Ranggruppe und auch an den Ranggruppengrenzen). Keineswegs beschränkte sich die Berichterstattung auf außenpolitische Ereignisse, sondern Konflikte im Reich wurden in zunehmendem Maße Gegenstand der Nachrichten. Das alte Herrschafts-Arcanum wurde dabei "durchlöchert", Geheimhaltung wurde als Geheimniskrämerei beargwöhnt, es ging den Regierungen eher darum, offensive argumentative Positionen zu besetzen als die Leserschaft ahnungslos halten zu wollen. Insofern erweiterte sich eine Herrschaftskontrolle durch Öffentlichkeit, die langfristig rationale Kriterien für die Methoden der Herrschaftsausübung entwickelte und dadurch das überkommene transzendentale Verantwortungsmuster von unten nach oben auflöste.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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"Pflicht=mäßiger Bericht". Ein medialer Angriff auf die Geheimnisse des Reichstags aus dem Jahre 1713. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 4, 2002, S. 1- 31
Johannes Arndt
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Gab es im frühmodernen Heiligen Römischen Reich ein "Mediensystem der politischen Publizistik"? Einige systemtheoretische Überlegungen. In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 6, 2004, S. 74-102
Johannes Arndt
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Verkrachte Existenzen? Zeitungs- und Zeitschriftenmacher im Barockzeitalter zwischen Nischenexistenz und beruflicher Etablierung. In: Archiv für Kulturgeschichte 88, 2006, S. 101-115
Johannes Arndt