Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Werke und Briefe Clemens Brentanos
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Bis zum Beginn der Frankfurter Brentano-Ausgabe lag das Gesamtwerk Clemens Brentanos nur in rudimentärer Form vor. Der Schwerpunkt der postum erschienenen „Gesammelten Schriften“ (1852-55) in sieben Text- und zwei Briefbänden lag auf dem religiösen Werk und präsentierte die Texte „moralisch gereinigt“ sowie „stilistisch geglättet“, und die 1909 ambitioniert begonnene Ausgabe der „Sämtlichen Werke“ blieb nach zehn Textbänden stecken. Über Jahre hinweg musste daher die von Friedhelm Kemp besorgte vierbändige Studienausgabe der „Werke“ (1965-68) die anfangs noch fehlende und dann Entstehen begriffene historisch-kritische Edition sämtlicher Werke und Briefe ersetzen – ein Anspruch, den sie natürlich nur sehr eingeschränkt erfüllen konnte. Wie desolat die Editionslage tatsächlich war, zeigt der Aufsatz „Zum Stand der Arbeiten an der Frankfurter Brentano-Ausgabe“ (1969). Dort heißt es etwa über die editorische Ausgangssituation im für Brentanos Schaffen besonders wichtigen Bereich der Lyrik: „Etwa 1000 Gedichte Brentanos sind überliefert, von ihnen sind rund 250 bisher ungedruckt; etwa 70 Gedichte sind nur in Drucken überliefert, die übrigen, meist mehrfach, in Entwürfen, Reinschriften und Abschriften erhalten, wobei das große Entwurfsmaterial fast völlig ungedruckt ist und erst in den Apparatteilen der Frankfurter Ausgabe dargestellt und verwertet werden kann.“ (S. 405f.) Zum Ende des Förderungszeitraums liegen mehr als 80% des Werks und mittlerweile auch sämtliche Briefe gedruckt vor. Die Brentano-Forschung sieht sich damit auf eine völlig neue Basis gestellt. Sie hat nun Zugang zum größten Teil des Œuvres und vermag die oft langwierige und komplizierte Entstehungsgeschichte der meisten Texte nachzuvollziehen. Zum ersten Mal wird in vollem Umfang erkennbar, das Brentano ein Autor ist, der schriftstellerische Produktion als beständiges work-in-progress-Unternehmen begreift. Einmal entstandene Texte werden liegen gelassen, erneut aufgenommen, in neue Kontexte eingebettet, umadressiert und neu funktionalisiert, sie sind kaum je fertig, sondern werden immer als veränderbar und umformbar gedacht. Brentano stellt damit in besonderer Weise Begriffe wie „Werk“ und „Fassung“ in Frage, weil er den Prozess des Schreibens gegenüber der Herstellung eines fertigen literarischen Produkts favorisiert. Eine solche Haltung fordert Editionswissenschaft und -praxis in besonderer Weise heraus. Die Frankfurter Brentano-Ausgabe als historisch-kritische Edition herkömmlichen (zum Zeitpunkt der Beantragung aber ganz aktuellen) Typs hat gezeigt, wie leistungsfähig das editionsphilologische Instrumentarium ist, das die großen Editionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben. Sie zeigt freilich auch, dass im Rahmen einer (damals noch völlig außerhalb des Möglichen, ja Denkbaren liegenden) digitalen Edition noch mehr geleistet werden könnte, vor allem was die Visualisierung der Textgenese betrifft. Doch auch in der vorliegenden Gestalt wird sie voraussichtlich für lange Zeit die gültige und unüberholte Referenzausgabe des Werks und der Briefe Clemens Brentanos bleiben, die für die Romantikforschung eine unverzichtbare Bezugsgröße ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Sämtliche Werke und Briefe. Frankfurter Brentano-Ausgabe, historisch-kritische Ausgabe; veranstaltet vom Freien Deutschen Hochstift. Bd. 1 - Bd. 38 [48 Bde.] Stuttgart : Kohlhammer 1975-2016
Brentano, Clemens; Bohnenkamp-Renken, Anne (Herausgeber); Feilchenfeldt, Konrad (Herausgeber); Behrens, Jürgen (Herausgeber); Breuer, Ulrich (Herausgeber); Landfester, Ulrike (Herausgeber)