Detailseite
Projekt Druckansicht

Technische Intelligenzija, Umwelt und Nation: Bewässerungssysteme und Baumwollanbau im sowjetischen Zentralasien, 1930er Jahre bis 1991

Antragstellerin Professorin Dr. Julia Obertreis (†)
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2007 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 53244583
 
Erstellungsjahr 2010

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt ging von dem Zusammenhang zwischen Naturwahrnehmung, Modernisierung und nation-building aus und untersucht künstliche Bewässerung und Baumwollanbau in Usbekistan und Turkmenistan. Sowjetische Politik beförderte eine massive Expansion der Bewässerung für den Baumwollanbau, was schließlich durch das Abzweigen großer Wassermengen aus den Flüssen Amu-Darja und Syr-Darja zum Austrocknen des Aralsees und zu erheblichen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen führte. Ausgehend von dieser „Aralsee-Katastrophe" wurde nach der Rolle technischer Experten und Wissenschaftler in der Umsetzung und bei der Kritik am sowjetischen Modernisierungsprojekt gefragt. Abweichend vom ursprünglich gewählten Zeitrahmen für die Untersuchung (1930er Jahre bis 1991) wurde dieser im Laufe der Durchführung bis ins 19. Jahrhundert hinein ausgeweitet. Denn bereits mit der Eroberung des südlichen Zentralasiens durch russische Truppen seit den 1860er Jahren entstanden zentrale Sichtweisen und Diskurse der imperialen Machthaber, die bis weit in die sowjetische Zeit hinein erhalten blieben und von den kommunistischen Nachfolgern übernommen wurden. Dazu zählen vor allem die Vorstellung von der „Belebung" und Aktivierung der „rückständigen" Region und von der notwendigen Aneignung wertloser, „öder" Flächen, d.h. der Wüsten- und Steppengebiete, durch Bewässerungsprojekte. Es wird verfolgt, wie und durch wen diese Sichtweisen von der zarischen in die sowjetische Periode transferiert und wie sie im Kontext eines sozialistischen Imperiums in Erschließungsprojekte umgesetzt wurden. Neu war jetzt die Politik der Förderung von Einheimischen durch umfassende Bildungs- und Aufstiegsangebote. Neu war auch das nation-building, das sich in der Schaffung der usbekischen, turkmenischen und weiterer Sowjetrepubliken in den 1920er und 1930er Jahre manifestierte und mit der Förderung von Nationalsprachen und -geschichten einherging. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Zahl der einheimischen technischen Experten {Ingenieure, Hydrogeologen u.a.) rasant an. Seit den 1960er/70er Jahren kam Kritik an den negativen Folgen der Bewässerungs- und Baumwollpolitik von Seiten dieser Experten auf Die Einheimischen übten Kritik aber nicht, wie vermutet worden war, im Kontext eines nationalen Bewusstseins, sondern im Verbund mit ihren slavischen Kollegen. Experten waren untereinander nicht nach nationalen Kriterien aufgegliedert, sondern nach Disziplinen und Institutionen. Neben diesem ist ein weiterer wichtiger Fund, der nicht vorhergesehen werden konnte, die Erschließung von personalen Netzwerken über die Memoiren von Experten. Diese außerhalb Zentraiasiens nicht verbreiteten Publikationen geben detailliert Auskunft über informelle Entscheidungsabläufe und die Verbindungen zwischen Funktionären und Wissenschaftlern, auf denen große Erschließungsprojekte, allen voran die „Eroberung" der Hungersteppe in den 1950er und 1960er Jahren, basierten. Insgesamt hat das Projekt den Auftrag erfüllt, die russisch-sowjetische Modernisierung an der zentralasiatischen Peripherie im Bereich der Landwirtschaft und Bewässerung sowohl auf diskursiver Ebene als auch auf der Ebene der Umsetzung nachzuzeichnen. Dabei werden auch die Grenzen diesen Typs von Modernisierung deutlich, die sich drastisch an der Aralsee-Katastrophe zeigten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Infrastrukturen im Sozialismus. Das Beispiel der Bewässerungssysteme im sowjetischen Zentralasien In: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 58 (2007) 1. S. 151-182
    Julia Obertreis
  • Der „Angriff auf die Wüste" in Zentralasien. Zur Umweltgeschichte der Sowjetunion. In: Grünbuch. Politische Ökologie im Osten Europas = Osteuropa 58 (2008) 4- 5. S. 37-56
    Julia Obertreis
  • „Mertvye" i „kul'turnye" zemli: Diskursy ucenych i imperskaja politika v Srednej Azii 1880-e - 1991 gg. ["Tote" und „kultivierte" Flächen. Wissenschaftlerdiskurse und imperiale Politik in Zentralasien, 1880er Jahre -1991] In: Ab imperio 2008, Nr. 4, 41 Seiten
    Julia Obertreis
 
 

Zusatzinformationen

Textvergrößerung und Kontrastanpassung