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Das archivierte Ich - Der Schreibkalender am Darmstädter Hof 1624 - 1790

Antragstellerin Professorin Dr. Helga Meise
Fachliche Zuordnung Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2001 bis 2002
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5324630
 
Die Untersuchung erschließt ein bislang unbeachtetes frühneuzeitliches Medium, den "Schreibkalender". Seit dem 16. Jahrhundert massenhaft verbreitet, avanciert der Kalender nach Bibel und Katechismus schnell zum wichtigsten Daten- und Kommunikationsmittel der Epoche. Er treibt die Kulturrevolution der Zeit, die Durchsetzung des Buchdrucks, wesentlich voran, weil er zwei Medien kombiniert, Handschrift und Druck. Indem er zum Schreiben anreizt, schafft er ein "Schriftsystem" (E.A. Havelock). An einem Fallbeispiel, den unaufhörlich anwachsenden archivierten Schreibkalendern der landgräflichen Familie von Hessen-Darmstadt, liefert die Studie eine Funktionsgeschichte des Schreibkalenders vom 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts. Die Untersuchung kombiniert zwei methodische Ansätze: Sie analysiert zum einen die Aufzeichnungen. Zum anderen erkundet sie unter interdisziplinären Fragestellungen die Interferenzen zwischen den Aufzeichnungen und den weiteren kulturellen Äußerungen der Schreiberinnen und Schreiber. Die Darmstädter Tradition - ausgewertet wurden 177 Schreibkalender von 7 Männern und 6 Frauen - belegt exemplarisch den Aufstieg des "Schreibkalenders" in der höfischen Gesellschaft. Seine Bedeutung für die Darstellung fürstlicher Identität wächst unaufhörlich an, weil das Medium sich zunehmend die Funktionen anzueignen vermag, die im ästhetischen Funktionsraum des Hofes bislang anderen Medien, vor allem den Wort- und Bildkünsten, überantwortet geblieben waren. Gleichzeitig finden sich immer öfter Ich-Aussagen, der Schreibkalender wird zum Katalysator für autobiographisches Schreiben, er dokumentiert den Niedergang der höfischen Welt im 18. Jahrhundert gleichsam von innen. Die Untersuchung weist die Ursprünge der sonst als spezifisch bürgerlich apostrophierten Subjektivität erstmals in der höfischen Gesellschaft systematisch nach.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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