Experimentelle Bestimmung von Verletzungskriterien und -level für das HWS-Schleudertrauma unter Berücksichtigung der Oberkörperbewegung und der Halsmuskulatur
Final Report Abstract
Beschleunigungsverletzungen der Halswirbelsäule (HWS) zählen zu den häufigsten aber dennoch nicht vollständig verstandenen Verletzungen bei Verkehrsunfällen. Ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Verletzungsmechanismen kann zu besseren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten führen. Daher war das Ziel des Projektes mittels möglichst realistischen in vitro Experimenten, Dummy-Experimenten und theoretischen Simulationsrechnungen Verletzungskriterien und -level für die HWS-Beschleunigungsverletzung bei unterschiedlichen Kollisionstypen (Heck-, Frontal- und Seitkollision) zu definieren und Erkenntnisse über Art und Lokalisation der hierbei auftretenden Schädigungen der HWS zu gewinnen. Hierfür wurde eine Beschleunigungsanlage entwickelt, die es erlaubt unter realistischen Bedingungen Versuche an HWS-Präparaten durchzuführen. Da in dieser Anlage nur isolierte HWS-Präparate getestet werden sollten, war es erforderlich diese realistisch zu belasten. Daher wurde die im Vorprojekt entwickelte Beschleunigungsanlage um eine T1-Plattform zur Simulation von Oberkörperbewegungen ergänzt. Des Weiteren wurde ein Modell etabliert, um im in vitro Experiment passive Muskelkräfte zu simulieren. Um die Entwicklung der Anlage zu unterstützen, wurde ein Mehrkörpermodell mit Madymo entwickelt. Eine Wiederholgenauigkeitsanalyse wurde mit Hilfe von Hals-Nacken-Dummy-Modellen durchgeführt und zeigte sehr gute Ergebnisse. Die Anlage wurde so konstruiert, dass verschiedene Kollisionsrichtungen untersucht werden konnten. Die T1-Plattform ermöglichte die Anpassung der Anlage an Literaturdaten bezüglich der Oberkörperbewegungen (T1-Rotation, T1 x-Translation, T1 z-Translation). Es war demnach möglich, unter realistischen Versuchsbedingungen in vitro Experimente an isolierten HWS-Präparaten durchzuführen. Während der initialen Phase des Beschleunigungsvorganges trat eine typische s-Verformung der HWS auf. Die daraus resultierenden intervertebralen Bewegungen ließen auf eine realistische Belastung der Präparate schließen. Verletzungen traten bei der Heckkollision ab mittleren Beschleunigungen von 4 g, bei der Frontalund Seitkollision schon ab 3 g auf. Während alle Präparate der Frontal- und Seitkollisionsgruppe strukturell geschädigt wurden, wurden bei der Heckkollisionsgruppe nur drei Präparate verletzt. Bei der Heckkollision traten ausschließlich Verletzungen der anterioren Bandscheibe der unteren HWS-Segmente auf, während bei Frontal- und Seitkollision primär die Facettengelenke der mittleren und unteren HWS verletzt wurden. Bei Frontalkollision traten zusätzlich Verletzungen des posterioren Bandapparates auf. Diese Verletzungen wirkten sich entscheidend auf die Stabilität der HWS-Präparate in den drei Hauptbewegungsebenen aus. Alle Kollisionrichtungen führten zu multiplanaren Verletzungen der HWS, wobei bei Heckkollision nur die Flexion-/Extensions- und Seitneigungsebene betroffen waren, bei Frontal- und Seitkollision jedoch alle drei Hauptbewegungsebenen betroffen waren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Frontal- und Seitkollision ein höheres Verletzungsrisiko als die Heckkollision zu haben scheinen. Als mögliches Verletzungskriterium scheint das Moment quer zur Beschleunigungsachse, als auch die Kopfrotation in Frage zu kommen. Diese beiden Parameter waren bei der Seit- und Frontalkollision bei gleicher Wagenbeschleunigung im Vergleich zur Heckkollision deutlich erhöht. Es zeigten sich dementsprechend Verletzungen schon bei niedrigeren Wagenbeschleunigungen. Kopf- und T1-Beschleunigung scheinen jedoch einen geringeren Einfluss auf Verletzungen der HWS zu haben. Diese Parameter waren bei der Heckkollision bei gleicher Wagenbeschleunigung im Vergleich zu Seit- und Frontalkollision deutlich höher. Verletzungen traten aber bei der Heckkollision erst ab höheren Wagenbeschleunigungen auf. Die Ergebnisse können helfen die Beschleunigungsverletzung der HWS besser zu verstehen, können helfen den Insassenschutz in Fahrzeugen zu verbessern und stellen eine Grundlage für die Patientenbegutachtung dar. Annähernd alle Teilaufgaben des bewilligten Projektes konnten erfolgreich realisiert werden. Leider konnten Verletzungslevel, wie ursprünglich angenommen, nicht definiert werden, da die Präparate ein zu frühes strukturelles Versagen zeigten. Dies wirft zukünftige Fragestellungen auf. In diesem Projekt wurde nur der Muskelgrundtonus simuliert. Daher müssen die Auswirkung aktiver Muskelanspannung und die Auswirkung der Simulation monosegmentaler, kurzer Halsmuskeln auf die Stabilität der Präparate untersucht werden.
Publications
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