Modalitätsspezifische semantische Systeme: Die Rolle visueller, auditiver und motorischer Information bei der semantischen Objektrepräsentation
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Täglich erweitern Menschen ihr begriffliches Wissen, indem sie mit der Umwelt interagieren. Vor allem in der Kindheit erwerben sie eine umfangreiche begriffliche Wissensbasis, welche wiederum die kognitive Grundlage für Wortbedeutungen, Objekterkennung und planerisches Denken darstellt. Wir setzen uns aktiv mit unserer Umwelt unter Verwendung verschiedener Sinneskanäle auseinander: Eine Trommel wird betrachtet, ertastet und erprobt. Dabei ist sie auch akustisch wahrnehmbar. Begriffe werden jedoch nicht nur spontan durch Exploration der Umwelt erworben. Gerade im schulischen Unterricht, in der beruflichen Ausbildung oder an der Universität werden neue Begriffe gezielt vermittelt. Für die optimale Unterrichtung ist es wichtig zu wissen, wie begriffliches Wissen beschaffen ist, um es möglichst effizient an die Frau oder an den Mann zu bringen. Es ist offensichtlich, dass sich Begriffe aus Merkmalen zusammensetzen, die unterschiedlichen Sinneskanälen entstammen. Umstritten ist jedoch die Art und Weise, wie diese Information im Langzeitgedächtnis gespeichert ist. Für lange Zeit wurde vermutet, dass bei der Begriffsbildung die Information aus den Sinneskanälen transformiert und in abstrakter Form gespeichert wird. Die ursprüngliche sinnesspezifische Tönung der Information ist nach dieser Vorstellung bei einem Begriff nicht mehr vorhanden. Damit wäre es völlig gleichgültig, ob Begriffe durch direkte Erfahrung mit dem Lerngegenstand erworben oder durch eine rein verbale Erläuterung vermittelt werden. In unserem Forschungsprojekt gehen wir dagegen von einer anderen, neurartigen Sichtweise aus: Wir nehmen an, dass Begriffe genau in denjenigen Hirnregionen gespeichert sind, die bei ihrem Erwerb eine wichtige Rolle gespielt haben. Begriffe behalten so eine sinnesspezifische Tönung und spiegeln die spezifischen Sinneserfahrungen während des Erwerbs wider, auch wenn das bewusste Erlebnis der entsprechenden Sinnesinformation bei der begrifflichen Verarbeitung fehlt. Wir nehmen ja nicht ein Trommelgeräusch wahr, wenn wir z.B. in diesem Text das Wort "Trommel" lesen. In unseren Studien konnten wir mit den modernsten Methoden der experimentellen Psychologie und der Hirnforschung nachweisen, dass beim begrifflichen Denken diejenigen Hirnareale aktiv sind, die typischerweise auch in die visuelle oder akustische Wahrnehmung oder in das Ausführen von Handlungen involviert sind. Dies zeigt, dass Begriffe wesentlich in Wahrnehmung und Handlung gegründet sind. So führt in Abhängigkeit der Aufgabe das begriffliche Erkennen eines Hammers zu Aktivierungen im Gehirn, die typischerweise bei der tatsächlichen Ausführung von Handlungen oder bei der Formwahrnehmung zu beobachten sind. Diese Aktivierungen werden sehr rasch innerhalb von 100 ms nach Präsentationsbeginn eines Objekts ausgelöst. Da Handlungsinformation so schnell zur Verfügung steht, ist es auch folgerichtig, dass voraktivierte Handlungen das Erkennen von Objekten verbessern können. Nach unseren Forschungsergebnissen hängen die Aktivierungen in den sinnesbasierten oder motorischen Hirnarealen unmittelbar davon ab, welche Sinneserfahrungen beim Begriffserwerb gemacht wurden und welche Relevanz sie für das Lernobjekt besitzen. In Zusammenarbeit mit beruflichen Ausbildern aus der Industrie entwickelten wir auf der Basis unserer Befunde Leitlinien für eine optimierte Gestaltung der Ausbildung: Da Begriffe essentiell in Wahrnehmung und Handlung gegründet sind, ermöglicht, nur die konkrete Erfahrung mit für den Lerngegenstand relevanter Eigenschaften ermöglicht ein echtes Verständnis des Gelernten. Dieses ist die Vorraussetzung für eine effiziente Anwendung des Wissens. Unsere Zusammenarbeit mit der Industrie zeigt, dass psychologische Grundlagenforschung eine hohe praktische Relevanz besitzt, um die Konzeption der beruflichen Ausbildung zu optimieren.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Helbig, H. B., Graf, M., Kiefer, M. (2006). The role of action representations in object recognition. Experimental Brain Research, 174, 221-228.
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Kiefer, M. (2008). Zusammenwirken kognitiver Systeme: Kognitionspsychologische und neurophysiologische Befunde zur Rolle des semantischen Gedächtnisses bei der Informationsverarbeitung. Psychologische Rundschau, 59, 87-97.
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Kiefer, M., Hoenig, K. & Hoidekr, H. (2007). Gehirngerechtes Lernen. Broschüre herausgegeben von Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH.
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Kiefer, M., Schuch, S., Schenck, W. & Fiedler, K. (2007). Emotion and human memory: Eventrelated potential indices of successful memory encoding depend on the mood state. Advances in Cognitive Psychology, 3, 363-373.
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Kiefer, M., Schuch, S., Schenck, W. & Fiedler, K. (2007). Mood states modulate activity in semantic brain areas during emotional word encoding. Cerebral Cortex, 17, 1516-1530
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Kiefer, M., Sim, E.-J., Liebich, S., Hauk, O. & Tanaka, J. (2007). Experience-dependent plasticity of conceptual representations in human sensory-motor areas. Journal of Cognitive Neuroscience, 19, 525-542.
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v. Soden-Fraunhofen, R., Sim, E-J., Liebich, S., Frank, K. & Kiefer, M. (2008). Die Rolle der motorischen Interaktion beim Erwerb begrifflichen Wissens: Eine Trainingsstudie mit künstlichen Objekten. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 22, 47-58.