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Institutional Landscapes. Eine explorative Ethnographie neuer staatlicher Institutionen unter dem Stress ext-remer Gewalt – die Suchkommissionen in Mexiko und Kolumbien

Antragstellerin Dr. Anne Huffschmid
Fachliche Zuordnung Afrika-, Amerika- und Ozeanienbezogene Wissenschaften
Förderung Förderung seit 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 536695083
 
Die entmenschlichende Gewalt des Verschwindenlassens, wie sie in Lateinamerika zu Diktaturzeiten perfektioniert wurde, ist heute noch immer eine der ungelösten Menschenrechtskrisen des Kontinents, und zwar besonders in zwei Ländern: Mexiko und Kolumbien, wo gegenwärtig jeweils über 100.000 Menschen als gewaltsam verschwunden registriert sind. Während die Forschung bislang vor allem auf die Entwicklung aktueller Gewalt- und Governance-Dynamiken und auf Aspekte der Übergangsjustiz (Transitional Justice) fokussiert, sind sozial- und kulturanthropologische Studien zur Performanz und Perzeption staatlicher Institutionen selten und zum Innenleben des Staates in solchen Gewaltkontexten ein Desiderat. Das in der politischen Anthropologie angesiedelte Forschungsvorhaben will mittels eines explorativen Forschungsdesigns untersuchen, wie zwei relativ neue staatliche Behörden – die in Mexiko und Kolumbien jeweils 2018 eingesetzten Kommissionen zur Suche nach gewaltsam Verschwundenen, die einen „neuen“ Umgang mit diesem Gewaltphänomen annoncieren – konkret agieren, wie sie kommunizieren, wie dieses Handeln und Kommunizieren von anderen gesellschaftlichen Akteuren rezipiert wird und auf soziale Imagination von Staatlichkeit zurückwirkt: Wie entsteht so etwas wie staatliche Legitimität? Wie verändern oder reproduzieren sich Erfahrungen mit oder Bilder von Staatlichkeit? Zum Einsatz kommen sollen in der Forschungspraxis der Antragstellerin bereits bewährte Zugänge (ethnografische und visuelle Methoden, Bild/ Diskursanalyse, transmediale Narrative) wie auch neu zu erprobende Zugänge, etwa mit Blick auf sensorische Dimension (Soundscapes). Inhaltlich knüpft das Vorhaben an das zuvor durchgeführte Projekt "Forensic Landscapes"(2013-2020) an, das forensische Prozesse in Mexiko mit ethnografischen und audiovisuellen Methoden untersuchte und dabei vor allem nichtstaatliche Akteure (Gewaltbetroffene, regierungsunabhängige Forensikteams) in den Blick nahm; staatliche Behörden, weithin als indifferent und ineffizient wahrgenommen, blieben dabei als Leerstelle markiert. In dem neuen Vorhaben wird nun der Fokus auf den Staat selbst und seine Interaktion mit der Zivilgesellschaft gelegt. Unter dem „Vergrößerungsglas“ einer erweiterten „Institutionenethnographie“ (Dorothy Smith) werden Alltagsleben, Praktiken, Interaktionen, Atmosphären in Innen-, Grenz- und Schwellenräumen ‚unter die Lupe‘ genommen. Die „Behördenlandschaften“ werden in Mexiko und Kolumbien jeweils kontextualisiert und zudem zueinander in Beziehung gesetzt, um Unterschiede aber auch übergreifende Muster, Verflechtungen und Wissenstransfers herauszuarbeiten. Die Ergebnisse – auch zum methodischen Mehrwert einer explorativen und sensitiven Staatsforschung – sollen in Fachaufsätzen wie auch in einer multimodalen Plattform zugänglich gemacht werden. Dabei kann das Vorhaben an die Erfahrung der interaktiven Webdokumentation www.forensiclandscapes.com (2020) anknüpfen und diese methodologisch weiterentwickeln.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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