Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte: Band V: Das Berufsbildende Schulsystem in Deutschland 1815-1945
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Zielsetzung des Projekts war, die Reihe der „Datenhandbücher zur deutschen Bildungsgeschichte" durch ein Datenhandbuch zum berufsbildenden Schulwesen im Zeitraum zwischen 1800 und 1945 zu vervollständigen, das in wechselseitiger Ergänzung von bildungsstatistischen und sozialgeschichtlichen Servicefunktionen die schul strukturelle und quantitative Entwicklung des beruflichen Schulangebots sowohl in ihren Kontinuitätslinien als auch mit ihren Brüchen, Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten im Zeitablauf rekonstruiert und eine für Längs- und Querschnittanalysen geeignete Datengrundlage bereitstellt. Mit der Fertigstellung des Manuskripts ist gegen Ende des Jahres 2008 zu rechnen. Im Zentrum der Projektarbeit stand die datengestützte Analyse der Schultypen- und Schulsystementwicklung im Berufsbildungssektor als langwieriger Prozess des allmählichen Austauschs von Partikularitat (lokale Verankerung, Örtliche Zuständigkeiten, Regionalisierung, Privatisierung, Heterogenisierung, Deregulierung, Freiwilligkeitsprinzip) durch Universalisierung (staatliche Zuständigkeiten, zentralstaatliche Aktionsradien, Zentralisierung, Etatisierung, Standardisierungen, Normierung, Pflichtprinzip). Das Vorhaben, den institutionellen Wandel der beruflichen Schulen über die verschiedenen Systemebenen (Branchen, Regionen) hinweg in seiner schulstrukturellen Komplexität und regionalen Vielgestaltigkeit zu rekonstruieren und dabei die ineinandergreifenden Prozesse der Schultypendifferenzierung und der Schulsystementwicklung sowohl bildungsstatistisch zu dokumentieren als auch exemplarisch nach ihren Determinanten zu befragen, ist gelungen. Aufgrund wechselnder Aggregationen, uneinheitlicher Variablen und Zuordnungskriterien und beliebig erscheinender Benennungsmodalitäten erzwangen die amtlichen Statistiken den Rekurs auf die Einzelschulebene, sofern ihn das Quellenmaterial erlaubte. Im Ergebnis liegt eine sich über alle Sektoren des beruflichen Schulwesens erstreckende Analyse vor, die für Preußen und die Staaten Württemberg, Baden, Bayern und Sachsen eine nahezu durchgängig auf amtlichen Angaben beruhende Datengrundlage umfasst, mit der sich über die Zusammenstellung von Zeitreihen hinaus die Prozesse der Schultypendifferenzierung und Systemstrukturierung in ihren einzelschulisehen, lokalen, bezirks- und provinzspezifischen sowie einzelstaatlichen Ausprägungen und Verlaufsformen nachzeichnen, regionale Entwicklungsmuster analysieren und Aggregationen für unterschiedliche Zwecke der bildungs-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Forschung neu bestimmen lassen. Infolge der Erschließung bislang nicht ausgewerteter Quellenbestände konnten auch die Ausbau- und Inklusionsprozesse im landwirtschaftlichen Schulsektor, im Bereich des beruflichen Schulangebots für die weibliche Jugend und im kaufmännischen Schulwesen rekonstruiert werden. Der Prozess der Ausdehnung und Durchsetzung von Klassifikationen im beruflichen Schulwesen setzte über die Fortbildungsschulen wie auch über die Fachschulen ab etwa 1880 ein. Die beruflichen Schulen waren im 19. Jahrhundert auf lokale Problemlagen ausgerichtet und verteilt. Der Begriff der lokalen Problemlage bezieht sich dabei nicht nur auf die jeweilige Lage vor Ort, sondern generell und abstrakter auf die Verortung beruflicher Schulen in den verschiedenen institutionellen Handlungsbereichen der staatlichen Administration, der korporativen und kommunalen Selbstverwaltung sowie der Politik selbst mir. ihren jeweils eigenen Logiken der Präferenzbildung und Problemwahrnehmung. Charakteristisch ist die Systemungebundenheit, mit der lokale Problemlagen die Benennung und den Organisationsaufbau von Fortbildungsschulen und Fachschulen zunächst bestimmen konnten. Lokal- und regionalspezifische Traditionen wie auch branchen- und berufsbezogene Besonderheiten sorgten bis weit in das 20. Jahrhundert hinein für spezifische Struktur- und Entwicklungssignaturen. Die als Ergebnis des Strukturwandels zu verstehende und keineswegs schon am Anfang der Entwicklung feststehende dreistufige Strukturierung des beruflichen Schulangebots in Berufsschulen, Berufsfachschulen und Fachschulen, die am Ende der 1930er Jahre durch die Administrationverordnet wurde, schuf die Voraussetzung für eine reichsweite Verflechtung der beruflichen Schulen zum System der beruflichen Schulen und verfügte zugleich den Bruch mit der traditionellen Bezeichnungsvielfalt und der an lokalen Problemlagen orientierten Klassifizierungspraxis.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Gewerbeförderung durch Bildung: Die Entwicklung des gewerblich-technischen Schulwesens in Bielefeld vor dem Ersten Weltkrieg. In: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, 90 (2005), S. 113-138
Großewinkelmann, Johannes
- Die Klassifizierung von Schulen als Mittel der Schulsteuerung und lokalen Profilbildung. Begleitumstände, nachkriegszeitliche Anpassungsprobleme und aktuelle Folgen der Klassifizierung des berufsbildenden Schulwesens seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Pädagogik, 52. Jg., H. l (2006), S. 108- 126
Harney. Klaus/Herrmann, Ulrich G./Großewinkelmann, Johannes/Schwankl, Claudia/ Feldmann, Henning/Peeters, Kerstin
- Schulische Berufsbildung für die weibliche Jugend 1900-1938. In: Lundgreen, Peter (Hg.): Bildungsbeteiligimg: Wachstunismuster und Chancenstrukturen 1800-2000 (Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. 9. Jg. Beiheft 7/2006). Wiesbaden 2006, S. 105-125
Herrmann, Ulrich G.