Chlorid-Kotransporter und der ontogenetische Wechsel von erregender zu hemmender Glycin-Wirkung im auditorischen Hirnstamm
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Nervenzellen kommunizieren untereinander über chemische Kontaktstellen, die Synapsen. Zwei Haupttypen von Synapsen werden unterschieden, erregende und hemmende. Letztere stellen ca. ein Drittel aller synaptischen Verbindungen im Zentralnervensystem von Säugern dar. Die Hauptneurotransmitter mit hemmender Wirkung, GABA und Glycin, öffnen Chloridkanäle und bewirken somit einen Chlorideinstrom, der das Membranpotential der Nervenzellen negativer werden lässt. Voraussetzung für den Chlorideinstrom ist eine niedrige intrazelluläre Chloridkonzentration (ca. 8 mW), die einen einwärtsgerichteten elektrochemischen Gradienten für die Chloridionen zur Folge hat. In der frühen Entwicklung des Nervensystems, wenn die synaptischen Verbindungen ausgebildet werden und morphologisch wie physiologisch reifen, findet man allerdings eine deutlich höhere intrazelluläre Chloridkonzentration (ca. 44 mM). Sie bewirkt, dass es nach Transmitterbindung an die Rezeptoren und Öffnen der Chloridkanäle zu einem Chloridausstrom und somit zu Depolarisationen und Erregung kommt. Bei Ratten erstreckt sich die Phase mit Depolarisationen bis zum Ende der ersten postnatalen Woche. Aktive Chloridtransporter sind für die Aufrechterhaltung der niedrigen bzw. hohen intrazellulären Chloridkonzentrationen notwendig. In unserem Projekt haben wir diese Chloridtransporter in Neuronen der zentralen Hörbahn analysiert. Für diese Neurone, die im Hirnstamm liegen, ist eine funktionierende synaptische Hemmung notwendig, um dem Organismus das Erkennen der Richtung zu ermöglichen, aus der der Schall kommt. Von unseren früheren Untersuchungen konnten wir davon ausgehen, dass die niedrige intrazelluläre Chloridkonzentration durch den Transporter KCC2 vermittelt wird, der aktiv Chlorid aus den Zellen herauspumpt. Die hier vorgestellten Ergebnisse, die unter anderem an knockout-Tieren gewonnen wurden, bestätigten eindeutig KCC2 als alleinigen Auswärtstransporter. Sie zeigten ferner und überraschend, dass KCC2-Proteine bereits synthetisiert und in der Zellmembran vor Ort gebracht werden, wenn die Zellen noch in der Depolarisationsphase sind. In dieser frühen, ca. 1 Woche dauernden Phase (zwischen Geburt und Postnataltag 8) hat KCC2 vermutlich eine andere Funktion als die eines Transporters. Welche Funktion dies ist, ist unklar. Ein zweiter Aspekt des Vorhabens betraf die Suche nach dem Chlorid-Einwärtstransporter, der die frühe, hohe intrazelluläre Chloridkonzentration bewerkstelligt. Diese Suche ergab deutliche Negativbefunde bezüglich NKCC1. Dies ist besonders bemerkenswert, da nach heutigem Kenntnisstand generell davon ausgegangen wird, dass NKCC1 in neuronalen Systemen während der Ausreifung vorkommt und Chlorid in die Neurone pumpt. Zumindest im auditorischen Hirnstamm liegt unseren Daten zufolge ein anderer Mechanismus vor, den es noch zu identifizieren gilt. In einem dritten Ansatz konnten wir schließlich zeigen, dass der Ausfall des KCC2 cytoarchitektonische Veränderungen in auditorischen Hirnstammkernen zur Folge hat, die allerdings weit weniger gravierend sind als erwartet. Eine massive Fehlentwicklung der Kerne tritt somit bei gestörter Chloridregulation nicht auf.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2003) Differential expression pattern of chloride transporters NCC, NKCC2, KCC1, KCC3, KCC4, and AE3 in the developing rat auditory brainstem. Cell Tissue Res 312:155-165
Becker M, Nothwang HG, Friauf E
- (2003) Expression and function of chloride transporters during development of inhibitory neurotransmission in the auditory brainstem. J Neurosci 23:4134-4145
Balakrishnan V, Becker M, Löhrke S, Nothwang HG, Güresir E, Friauf E
- (2004) Developmental changes and cellular plasticity in the superior olivary complex. In: Plasticity of the Auditory System (Parks TN, Rubel EW, Fay RR, Popper AN, eds), pp 49-95. New York: Springer
Friauf E
- (2005) Shift from depolarizing to hyperpolarizing glycine action occurs at different perinatal ages in superior olivary complex nuclei. Eur J Neurosci 22:2708-2722
Löhrke S, Srinivasan G, Oberhofer M, Doncheva E, Friauf E
- (2006) Oligomerization of KCC2 correlates with development of inhibitory neurotransmission. J Neurosci 26:10407-10419
Blaesse P, Guillemin l, Schindler J, Schweizer M, Delpire E, Khiroug L, Friauf E, Nothwang HG