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Mythos und Metapher. Metamorphosen des Kirke-Mythos in der Literatur der italienischen Renaissance

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2002 bis 2003
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5392114
 
Der Mythos der Zauberin Kirke, die Menschen in Tiere verwandelt, wird in der italienischen Renaissance so häufig Gegenstand der Literatur, dass er nicht mehr nur als eines der zahllosen Beispiele für die programmatische `Wiedergeburt´ der Antike im 15. und 16. Jahrhundert gelten kann, das gleichberechtigt neben anderen stünde. Wie sein gehäuftes Auftreten zeigt, sprechen die Bilder dieses Mythos alle offenen Fragen der Zeit an, auch wenn - oder weil - keine endgültigen Antworten auf sie gefunden werden können. Damit erhält der Mythos in vielfältiger Hinsicht geradezu paradigmatischen Status: Erstens lässt er sich begreifen als eine Art poetologischer Metapher, insofern er beispielhaft für die Re-Naissance der Antike stehen kann, da er nicht nur den antiken Stoff aufgreift und ausgehend von verschiedenen Quellen neu gestaltet - vor allem Homer, Ovid und Plutarch sowie die von der Antike bis in die Renaissance reichende allegorische Auslegungstradition des Mythos werden Gegenstand der Dichtung -, sondern zugleich mit den verschiedensten Gattungen und Traditionen experimentiert und dabei, sei es etwa im Bereich des (nicht mehr antiken) Dialogs, sei es im Bereich des Epos bzw. des Romans, völlig Neues entstehen lässt. Diese neuen Entwürfe skizzieren aber zugleich ein neues Menschenbild, so dass der Kirke-Mythos zweitens zu einer anthropologischen Metapher wird: Die Kirke-Versionen vor allem des Cinquecento liefern einen eigenen und eigentümlichen Beitrag zu zahlreichen Debatten der Zeit: beispielsweise, um nur einige zu nennen, zur Frage nach der Würde des Menschen, nach seiner Stellung zwischen Tier und Gott, zur Frage nach dem Verhältnis von Intellekt, Willen und Leidenschaften, nach dem Bewussten und Unbewussten, zur Frage der Weiblichkeit, zur Frage nach Identität und Verwandlung etc. Weil jedoch nicht nur der Mensch selbst sich als wandelbar, alsfrag-würdig erlebt, sondern auch im Blick auf die ihn umgebende Welt,auf das unendlich gewordene Universum, alle einstigen Sicherheitenverloren gingen, wird der Mythos drittens zu einer umfassendenepistemologischen Metapher, die in ihren Bildern, in ihrer Ambiguitätund in ihren Paradoxien das Prekär-Werden der Welt eher zu erfassenvermag als diskursives Sprechen, das die Widersprüche aufzulösenversucht, statt sich ihnen zu stellen. Damit bietet der Kirke-Mythoseine Art Verstehensmodell für eine komplexe Zeit, die nicht umfassendbeschrieben ist, wenn man in ihr nur `humanistische´ Euphorie statt`mittelalterlicher´ Demut, nur Aufbruch statt Skepsis und Zweifelwahrnimmt. Um diese Zeit wie die in ihr entstehenden Texte verstehen zu können, muß, wie die Untersuchung der vielfältigen Ausprägungen deseinen Mythos zeigt, neben die Entdeckung einer neuen Welt und einesneuen Menschen jenes Prekär-Werden der Selbstdefinition des Menschenwie des Universums gestellt werden, dem der Kirke-Mythos eine Stimmegibt.
DFG-Verfahren Publikationsbeihilfen
 
 

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