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Beziehungen und Ressourcenflüsse in der ländlichen Gesellschaft: Soziale Netzwerke in Westfalen im 19. Jahrhundert

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2003 bis 2009
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5399046
 
Erstellungsjahr 2009

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersucht soziale Netzwerke und Ressourcenflüsse in zwei bis drei ländlichen Gemeinden Westfalens (19. Jahrhundert). Die Forschungsgruppe kann auf umfangreiche Datenbanken zurückgreifen, die teilweise bereits in früheren, von der DFG geförderten Projekten aufgebaut wurden. Sie wurden in diesem Projekt um weitere für die Untersuchung zentrale Quellen ergänzt. Es wurden neben qualitativen und deskriptiven statistischen Verfahren auch netzwerkanalytische und multivariate statistische Verfahren eingesetzt. Aufgrund der Förderung konnten in überschaubarer Zeit vergleichende Studien zu zwei bzw. drei Gemeinden im Rahmen von zwei Dissertationsprojekten durchgeführt werden, die zu einer Verbreiterung eines noch recht schmalen Forschungsfeldes beitragen. Schon früh wurde deutlich, dass soziale Netzwerke und Ressourcenflüsse schon vor der Entstehung moderner Institutionen voneinander abgekoppelt sein konnten. Die Dissertationsprojekte der Bearbeiter wurden daher komplementär angelegt, zum einen mit Schwerpunkt auf der Konstruktion sozialer Netzwerke und der Transformation zu einer Klassengesellschaft, zum anderen zu Vermögensstrategien im Kontext von Agrarreformen und institutionellem Wandel von Kreditmärkten. In den beiden Studien sind eine Fülle von Ergebnissen zu den angeführten Themen und Erfahrungen mit der Anwendung von Netzwerkforschung in historischen Kontexten erarbeitet worden. Der Vergleich von Gemeinden in derselben Region (hier der preußischen Provinz Westfalen) ermöglicht die Unterscheidung zwischen regionalen Spezifika und lokaler Variation, insofern weist das in diesem und den Vorgängerprojekten entwickelte Forschungsdesign über die isolierte Ortsmonographie hinaus. In europäischer Perspektive führen die hier erarbeiteten Ergebnisse unter anderem zu der Aussage, dass die anhand von Realteilungsgebieten entwickelten Vorstellungen über soziale Beziehungen, Verwandtschaftsorientierung und Klassenbildung für ländliche Gesellschaften mit Unteilbarkeit nicht zutreffen. In Westfalen wurde wie im zentralfranzösischen Gevaudan Klassenbildung nicht über Venwandtenheiraten vorangetrieben, sondern durch die familiäre Bündelung des Landbesitzes in einer Hand, zunehmend auch über die Ausweitung des agrarischen Arbeitsmarktes. Protoindustrie führte dagegen eher zu stärkerer Vernetzung der dörflichen Gesellschaft und zu paternalistischen Abhängigkeitsbeziehungen. Zumindest bis in die mittleren Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts existierte in Ostwestfalen ein sozial inkludierendes Heiratsnetz, in dem Ressourcen zirkulierten, und das die Sozialform des Heuerlingssystems auch über das Zusammenbrechen der protoindustriellen Märkte hinaus konservierte. Ressourcenflüsse wurden im ländlichen Westfalen nur zum Teil durch Netzwerke gesteuert. Daneben blieben familiale Transfers von überragender Bedeutung, während gleichzeitig die Bedeutung von Märkten für agrarische Produkte, Arbeitskraft und Kredit zunahm. Märkte ersetzten familiale und netzwerkbezogene Transaktionen jedoch nicht, sondern verhielten sich komplementär - sie wurden etwa auch dazu genutzt, um Familienstrategien verfolgen zu können. Das Aufzeigen solcher Ungleichzeitigkeiten stellt eine wichtige Grundlage für das Verständnis des spannungsvollen Übergangs zur Marktgesellschaft in den ländlichen Gebieten Deutschlands dar.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "Aspects of Institutional Modernisation of the Rural Credit Market in 19th Century Westphalia: Research on two Parishes, 1830-1866" (European Social Science History Conference, Berlin 24.-27. März 2004)
    Bracht, Johannes
  • "The making of kinship: marriage in 18th to 19th century Westphalia", Seminar der International Union of Scientific Study of Population, „New History of Kinship", Paris, Oktober 2004
    Fertig, Georg
  • "Financing Agrarian Reforms. Savings banks, Rentenbank and Local Credit Markets in Westphalia - Research on two Parishes, 1830- 1866" (European Savings Banks Academic Award 2005)
    Bracht, Johannes
  • "Social networks and agrarian resources: the access to land through social relations in 19th century Westphalia (Prussia)", ESF/SCH Exploratory Woricshop 'Property rights, land market and economic growth in Europe (13th-19th century), Thonon les Bains, 13-16 October 2005
    Fertig, Christine
  • "Rural marriage networks and class formation: Social Networks in two Westphalian parishes (19th century)". European Social Science History Conference 22 - 25 March 2006, Amsterdam, The Netherlands, Session: Marriages and Social networks in urban context
    Fertig, Christine
  • „Bauernbefreiung" - Freiheit für wen und zu welchem Preis?", in: Geschichte lemen, Heft 112 (2006), S. 16-24
    Bracht, Johannes
  • „Reform auf Kredit: Grundlastenablösungen in Westfalen und ihre Finanzierung durch Rentenbank, Sparkasse und privaten Kredit (1830-1866)", in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 54/2 (2006), S. 55-76
    Bracht, Johannes
  • "A transition towards life-cycle-strategies? Saving in a 19th century rural Westphalian parish" (Savings Banks Academic Award 2008)
    Bracht, Johannes
  • „Abschied von der hohen Kante? Zur Bedeutung der frühen Sparkassen für ländliche Kapitalmärkte und Wirtschaftsbeziehungen am Beispiel Westfalens (1830-1866)". in: Ira Spieker, Elke Schlenkrich, Johannes Moser und Martina Schattkowsky (Hg.), UnGleichzeitigkeiten (Dresden 2008), S. 37-60
    Bracht, Johannes
  • „Kreditmärkte und Kreditbeziehungen im ländlichen Westfalen (19. Jh.): Soziale Netzwerke und städtisches Kapital", in: Gabriele B. Clemens (Hg.), Schuldenlast und Schuldenwert. Kreditnetzwerke in der europäischen Geschichte 1300-1900 (Trier 2008), S. 161-175
    Fertig, Christine
  • „Wann sich verschulden, wann sparen? Vermögensstrategien und Lebenslauf im ländlichen Westfalen des 19. Jahrhunderts", in: Gabriele B. Clemens (Hg.): Schuldenlast und Schuldenwert. Kreditnetzwerke in der europäischen Geschichte 1300-1900 (Trier 2008), S. 177-192.
    Bracht, Johannes und Georg Fertig
  • „Zwischen den Generationen. Die Gestaltung des bäuerlichen Besitztransfers in der Soester Börde im 19. Jahrhundert", in: Soester Zeitschrift 120 (2008), S. 55-77
    Liemann, Bernhard
  • "Rural Society and Social Networks in Nineteenth-Century Westphalia: The Role of Godparenting in Social Mobility", in: Joumal of Interdisciplinary History 39:4 (Spring, 2009), S. 497-522
    Fertig, Christine
 
 

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