Psychoakustische, psychophysische und neurophysiologische Korrelate emotionaler Wirkung und Wahrnehmung von Musik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgangspunkt dieses Projektes war die Annahme, dass Musik eine wichtige Rolle in der akustischen Vermittlung von Emotionen spielt, und dass diese Rolle evolutionär angelegt ist. Da wir Emotionen objektiv „messen“ wollten, betrachteten wir starke Emotionen beim Musikhören und konzentrierten uns auf die Gänsehaut- oder Chillgefühle. In unserem Versuchsaufbau baten wir Hörer, ihre „Chillmusik“ mitzubringen und erfassten körperliche und psychologische Reaktionen auf diese Musik. Etwa 70% der Menschen kennen derartige Erlebnisse, die aber insgesamt selten sind, oft als „intim“ empfunden werden und auch im Individuum nicht immer reproduzierbar, also unstabil und flüchtig sind. Universale Voraussetzung für ein Chillerleben ist ein Strukturbruch in der Musik, der durch Aufbau einer Erwartung, die dann geschickt getäuscht wird, erreicht wird. Harmonische, rhythmische, dynamische oder auch klang- und instrumentenspezifische Faktoren waren untergeordnet und ergaben sich aus der individuellen Hör- und gegebenenfalls aus der aktiven Musizierbiographie. So war die Chillneigung signifikant höher wenn das Instrument, das in der Jugend erlernt worden war gespielt wurde. Sensitive Menschen mit hoher Musikliebe, niedriger Reizschwelle und starker sozialer Abhängigkeit neigten zu häufigen Chill-Erlebnissen. Das Hören in einer Gruppe hemmte die Chillhäufigkeit, was auf die Schambesetzung derartiger Emotionen hinweist. Alters- und Geschlechtseffekte fanden sich bei Erwachsenen nicht. Musik, die starke Emotionen erzeugt wurde eher im Langzeitgedächtnis behalten. Ausgehend von den neurobiologischen Fakten und den Ergebnissen der Hörer-Reaktionen erarbeiteten wir ein Modell des evolutionären Ursprungs der Musik. Einerseits stammt die emotionale Wirkung von Musik aus einem phylogenetisch alten emotionalen Kommunikationssystem, das wir mit vielen Säugetieren teilen, und das Nähe, Distanz, Gefahr, Sicherheit sowie Gruppenbindung signalisiert. Andererseits ist dieses Kommunikationssystem im Zusammenhang mit dem Spracherwerb und der Entwicklung der Feinmotorik ausdifferenziert worden. Auf der Grundlage der erworbenen vokalen und manuellen Fertigkeiten ist die Musik der Steinzeitmenschen als „transformative Technologie des Geistes“ als zweite evolutionäre Quelle unserer heutigen Musikliebe zu betrachten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Emotions over time. Synchronicity and development of subjective, physiological and mimic affective reactions to music. Emotion, 7(4):774-88 (2007)
Grewe O, Nagel F, Kopiez R, Altenmüller E
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EMuJoy – Software for continuous measurement of perceived emotions in music: Basic aspects of data recording and interface features. Behavior Res. Methods 39: 283-290 (2007)
Nagel F, Grewe O Kopiez R, Altenmüller E
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Listening to Music as a Re-Creative Process – Physiological, Psychological and Psychoacoustical Correlates of Chills and Strong Emotions. Music Perception 24: 297-315 (2007)
Grewe O, Nagel F, Kopiez R, Altenmüller E
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Psychoacoustic correlates of musically induced chills. Musicae Scientiae 12: 101-113 (2008)
Nagel F, Kopiez R, Grewe O, Altenmüller E
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Unforgettable film music: The role of emotions in episodic long-term memory for music. BMC Neuroscience 9: 48-55 (2008)
Eschrich S, Altenmüller E, Münte TF
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Chills as an indicator of individual emotional peaks. Ann. N. Y. Acad. Sci, 1169: 351-354 (2009)
Grewe O, Kopiez R, Altenmüller E
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Continuous measurement of musicallyinduced emotion: A Web experiment. International Journal of Internet Science, 4: 4-20 (2009)
Egermann H, Nagel F, Altenmüller E, Kopiez R
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Evolutionary-based universals? A discussion of individual emotional reactions towards music. Musicae Scientiae 13: 261-287 (2009)
Grewe O, Altenmüller E, Nagel F., Kopiez R
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Neural processing of vocal emotion and identity. Brain and Cognition 69(1):121-6 (2009)
Spreckelmeyer K, Kutas M, Urbach TP, Altenmüller E, Münte TF
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Social feedback influences musically induced emotions. Ann.N.Y. Acad. Sci. 1169, 346-350 (2009)
Egermann H, Grewe O, Kopiez R, Altenmüller E
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The chill parameter: Goose bumps and shivers as promising measures in emotion research. Music Perception, 27(1), 61-74. (2009)
Grewe O, Kopiez R, Altenmüller E
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The influence of social situations on music listening. Ann. N. Y. Acad. Sci, 1169: 363-367 (2009)
Sutherland ME, Grewe O, Egermann H, Nagel F, Kopiez R,& Altenmüller E
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Chills in different sensory domains - Frisson elicited by acoustical, visual, tactile and gustatory stimuli. Psychology of Music 39: 220-239 (2010)
Grewe O, Katzur B, Kopiez R, Altenmüller E
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Does music listening in a social context alter experience? A physiological and psychological perspective on emotion. Musicae Scientiae, 15: 307-323 (2011)
Egermann, H, Sutherland ME, Grewe O, Nagel F, Kopiez R, and Altenmüller, E
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The Influence of Social Normative and Informational Feedback on Musically Induced Emotions in an Online Music Listening Setting. Psychomusicology 23(1), 21–32, (2013)
Egermann H, Kopiez R, Altenmüller E
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Play it again Sam: Brain Correlates of Emotional Music processing. Frontiers in Psychology (2014)
Altenmüller E, Siggel S, Mohammadi B, Samii A, Münte T