Semantische Untersuchung zur Graduierung deutscher Verben mit dem Adverb "sehr": Welche Klassen von Verben sind mit welchem semantischen Effekt mit "sehr" graduierbar?
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hatte zum Ziel ein elementares Phänomen systematisch zu untersuchen, das bisher in der Linguistik fast keinerlei Beachtung gefunden hat: die Graduierung von Verben; erst in den letzten Jahren wird das Phänomen allmählich zu einem aktuellen Untersuchungsgegenstand. Gemeinhin wird Graduierung (zum Beispiel durch Steigerung) als eine Erscheinung bei Adjektiven und Adverbien angesehen, nicht jedoch bei Verben. Bei näherem Hinsehen ist die Graduierung von Verben, zum Beispiel mit sehr, jedoch ein sehr weit verbreitetes Phänomen. Das Projekt hat zunächst dieses "nähere Hinsehen" geleistet, indem es aus Korpusdaten eine Datenbank mit ca. 4500 Belegen zu über 1800 verschiedenen mit sehr graduierten Verben zusammengetragen hat. Als nächster Schritt wurde eine Subklassifikation der Verben in solche Klassen vorgenommen, bei denen die Graduierung einen einheitlichen, je unterschiedlichen Effekt hat. Zum Beispiel bezieht sich die Graduierung bei wachsen auf das Ausmaß einer erfolgten Veränderung, bei bluten auf die Menge einer ausgetretenen Substanz, bei ärgern auf die Intensität einer Emotion, bei sich vertun auf eine Diskrepanz zwischen dem intendierten und dem tatsächlich zustande gebrachten Resultat einer Handlung. Die Unterschiedlichkeit des Graduierungsbezugs hat zwei Konsequenzen. Erstens bedeutet sie, dass es grammatische Konstruktionen, in diesem Fall Verb mit Graduierungsadverb, gibt, die semantisch uneinheitlich interpretiert werden. Das Phänomen ist daher "sub-kompositional", ein Befund, der eine Modifikation der vorherrschenden Vorstellung in der Theorie der Komposition erfordert, nach der es solche Diskrepanzen zwischen grammatischer und semantischer Komposition nicht geben dürfte. Zweitens verweist die dennoch gegebene Regelhaftigkeit der Interpretation graduierter Verben darauf, dass die Basis für die Regelhaftigkeit nicht in der gewählten grammatischen Konstruktion liegen kann, sondern in der Bedeutung der Verben selbst liegen muss. Das wiederum macht es nötig nach Modellen der Dekomposition (Bedeutungsaufschlüsselung) für Verben zu suchen, die die Bedeutung so "tief" aufschlüsseln, dass der Ansatzpunkt der Graduierung und damit auch der jeweilige Kompositionsmechanismus bestimmt werden kann. In dem Projekt wurden erste Überlegungen zu einer solchen Dekomposition angestellt, die in der Nachfolge weiter entwickelt werden. Diese Überlegungen zielen auf eine Darstellung der Verbbedeutung als Frames. Solche Ansätze gibt es bereits seit längerer Zeit, jedoch beschränkten sie sich auf eine Darstellung der Argument- oder Rollenstruktur der Verben; die traditionellen Verbframes dekomponieren die Verbbedeutungen jedoch nicht tief genug, da sich die durch die Graduierung betroffenen Parameter des Verbkonzepts erst "unterhalb" der Verbargumente ansiedeln lassen. Mit dem Versuch einer tiefen Dekomposition unter Verwendung von Frames leistete das Projekt wichtige Vorüberlegungen für eine lexikalische Framesemantik (nicht nur für Verben), die die bisherigen relativ oberflächlichen Ansätze vertieft, differenziert und auf eine systematische Basis stellt. Diese Forschung wird derzeit in der Forschergruppe FOR 600 "Funktionalbegriffe und Frames" auf breiter Basis betrieben und soll noch intensiver und breiter in dem geplanten SFB 800 ausgebaut werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2005 "Die Graduierung deutscher Verben durch sehr im Rahmen der Integrativen Semantik". Forum Integrative Sprachwissenschaften, FU Berlin
Harald Stamm
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2005 "Gradable Dimensions as Implicit Parameters of Degree Verbs". DGfS-Tagung
Harald Stamm
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2005 "On the Semantics of Gradation: The Case of German Emotion Verbs". Sinn und Bedeutung 10, Berlin
Harald Stamm
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2005 "Semantik und Pragmatik der Graduierung deutscher Verben". LAK, Universität Köln
Harald Stamm
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2005 "Zur Semantik der Graduierung deutscher Verben durch sehr". Semantikzirkel am ZAS, Berlin
Harald Stamm