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Crimen pessimum, oder: die Benennung des „übelsten Verbrechens.“ Eine Begriffsgeschichte von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche (1850-1922).

Antragstellerin Dr. Giulia Marotta
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung seit 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 540459795
 
Im Jahr 1922 wurde das erste offizielle Dokument der katholischen Kirche erstellt, das sich speziell dem Thema des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche widmete: die Instruktion des Heiligen Offiziums mit dem Titel ‘Crimen sollicitationis.’ Crimen sollicitationis definiert die Aufforderung zum Geschlechtsverkehr selbst als Verbrechen, unabhängig von Geschlecht und/oder Alter sowie vom Fehlen bzw. Vorliegen einer Einwilligung. Ein eigener Absatz beschreibt das crimen pessimum ("das schlimmste Verbrechen"), d. h. jede Art von sexuellem Akt zwischen einem Geistlichen und einer Person seines eigenen Geschlechts. Auch der sexuelle Missbrauch von Kindern - sowohl hetero- als auch homosexuell - wird in dem Dokument als crimen pessimum bezeichnet. So bietet Crimen sollicitationis einerseits eine Definition des "schlimmsten Verbrechens" als ein Verbrechen, das sich eindeutig auf die Sphäre der Sexualität bezieht; andererseits zeigt das Dokument die Ambiguität des Begriffs des crimen pessimum, der manchmal nur mit homosexuellen Handlungen gleichgesetzt und manchmal auf andere Situationen sexuellen Fehlverhaltens, einschließlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern, ausgedehnt wird. Darüber hinaus zeigt die Instruktion Crimen sollicitationis grundlegende Prinzipien auf, die auch heute noch im Umgang der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch gelten. Die historische Konstellation, die diesem Dokument vorausging, ist jedoch weitgehend unbekannt. Wenn Crimen sollicitationis ein Ankunftspunkt ist, was ist dann der konzeptionelle Weg, der zu ihm führte? Wie hat der Heilige Stuhl das, was heute als "sexueller Missbrauch" definiert wird, im neunzehnten Jahrhundert aufgefasst, darauf reagiert und es reguliert? Welche Art von theoretisch-linguistischen Instrumenten hat er entwickelt und verwendet, um Fälle von sexuellem Missbrauch zu beschreiben? Welche Bedeutungen stecken hinter Ausdrücken wie crimen pessimum, il pessimo, Sodomie, Unzucht, contra naturam? Die lange Vorgeschichte der Instruktion von 1922 lässt sich anhand der wechselseitigen Interaktionen zwischen den Bischöfen und dem Heiligen Offizium zum Thema der sexuellen Aufforderung rekonstruieren, die in der Dubia de poenitentia sec. XIX (Zweifel/Fragen und Antworten zum Sakrament der Beichte) und Dubia varia sec. XIX (Zweifel/Fragen und Antworten zu verschiedenen Themen), die im Fonds Sanctum Officium des Archivum Congregationis Doctrinae Fidei aufbewahrt werden. Diese Dubia, die bischöfliche und kuriale Korrespondenz, die in den lokalen Archiven der von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche betroffenen Diözesen aufbewahrt wird, und die Aufzeichnungen über die kirchliche Verfolgung von Verstößen durch die Entlassung von Priestern aus dem Klerikerstand (die so genannten ‚Dispensationen‘) sind die wichtigsten Quellen, um die katholische Entwicklung grundlegender Konzepte im Zusammenhang mit der Frage des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche zu rekonstruieren.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
Internationaler Bezug Schweden
Kooperationspartnerin Professorin Dr. Yvonne Maria Werner
 
 

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