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Die Haltung der katholischen Kirche und des katholisch geprägten Milieus zu eugenischen/rassenhygienischen Ideen in den deutschsprachigen Ländern von den Anfängen bis 1945

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2003 bis 2010
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5405338
 
Erstellungsjahr 2007

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die sinkenden Geburtenzahlen und damit im Zusammenhang die differenzierte Fortpflanzung gab sowohl in den katholischen Milieus in Deutschland als auch in Österreich Anlass zur Sorge. Dazu kam das bei vielen Katholiken verbreitete Gefühl des Unterganges der katholischen Lebensordnung. Den Bestand der katholischen Familie und katholische Wertevorstellungen sah man in Auflösung begriffen und durch neue Konzepte partnerschaftlicher Beziehungen verdrängt. In den moralischen Appellen, Schriften und Belehrungen wurden von katholischen Familienpolitikern und Ärzten katholische Werte und Lebensformen betont und nun auch naturwissenschaftlich legitimiert. So war katholische Eugenik nichts anderes als der Versuch einer Rekatholisierung, in der „Sittlichkeit" als zentraler Punkt eines „Gesundungsprogramms" - nun auch in moralischer Hinsicht - hochstilisiert wurde. Eugenik wurde in diesem Zusammenhang als eine mögliche Lösung gegen diese empfundenen Missstände gesehen. In diesem Kontext kann man von einer Verwissenschaftlichung der Moral bzw. der Religion wie auch von einer Katholisierung der Wissenschaften reden: naturwissenschaftliche Argumente wurden in einen moraltheologischen Diskurs hineingetragen bzw. umgekehrt fanden moraltheologische Argumente Eingang in einen naturwissenschaftlichen Diskurs. So wurden alte überlieferte Glaubensvorstellungen und -inhalte nicht nur moraltheologisch, sondern auch zunehmend naturwissenschaftlich erklärt. Den kanonischen Ehehindernissen wurde beispielsweise eine eugenische Bedeutung gegeben, wie man anhand der Diskussionen um das Verbot der Verwandtschaftsehen sehen kann. Damit war „katholische Eugenik" nichts anderes als eine Form eines Anstandsdiskurses in einem bestimmten historischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontext. In der katholischen Presse, in Ratgebern, Ehebüchern, Predigten und Hirtenbriefen wurden Vorstellungen und Verhaltensvorschriften, allgemeine Handlungsregeln, Normen und Werte aufgestellt, die sowohl in einem moraltheologischen als auch in einem wissenschaftlichen Kontext gelesen werden konnten. Damit wurden in Rückgriff auf die Wissenschaften, welche sich in der Ratgeberliteratur in popularisierter Form als Legitimationsrahmen erweisen, katholische Tugenden und Pflichten vermittelt. Dies gilt für Deutschland ebenso wie für Österreich. Einer der wichtigsten Unterschiede - und dies ist ein wesentlicher Befund - ist, dass das päpstliche Eherundschreiben „Cast connubii" von Ende 1930, das eindeutig Stellung zur eugenischen Sterilisation bezog, in Deutschland eine gänzlich andere Bedeutung als in Österreich hatte. Während es in Deutschland als ein „In-Schranken-Halten" der Katholiken gesehen wurde, die zuvor für die Sterilisation eingetreten waren, bedeutete es in Österreich überhaupt erst den Anstoß, dass eine organisierte und institutionalisierte Form von „katholischer Eugenik" entstehen konnte. Zudem wurden viele Themenfelder eines eugenischen Maßnahmekataloges in Österreich entweder gar nicht oder nur am Rande angeschnitten, wie etwa die Verwahrung in Anstalten oder der Austausch von Gesundheitszeugnissen. Sterilisation wurde klar verurteilt und man wird niemanden finden, der sich selbst als Katholik verstanden hätte und für diese eugenische Maßnahme plädiert hätte. In Deutschland wiederum gab die preußische Zentrumspartei ihren langjährigen Widerstand gegen die Sterilisation auf und ermöglichte damit die sterilisationspolitische Wende. Damit lag mit Hilfe der Katholiken noch vor Machtergreifung der Nationalsozialisten ein dementsprechender Gesetzesentwurf auf dem Tisch.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Eugenik/Rassenhygiene und Katholizismus in Österreich bis 1938. In: Virus 5 (2005), 97-102. Verlag des Vereins zur Sozialgeschichte der Medizin. A-1030 Wien, Postfach 30

  • „...der gesunden Vernunft nicht zuwider". Katholizismus und Eugenik. In: Eberhard Gabriel, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Vorreiter der Vernichtung? Eugenik, Rassenhygiene und Euthanasie in der österreichischen Diskussion vor 1938, Wien 2005,219-240

  • Eugenics and Catholicism in Interwar Austria. In: Marius Turda, Paul Weindling (Hg.), „Blood and Homeland". Eugenics and Racial Nationalism in Central and Southeast Europe, 1900-1940, Central European University Press. Budapest 2007, 299-316

  • Zwischen Aufklärung und Sittlichkeit. Zum Spannungsverhältnis von Eugenik und Öffentlichkeit im katholischen Milieu im Österreich der Zwischenkriegszeit. In: Sybilla Nikolow, Arne Schirrmacher (Hrsg.), Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressourcen für einander. Studien zur Wissenschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M.: Campus Verlag, 2007

 
 

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