Bohrstange mit integrierter hochdynamischer Zustellung sowie Schwingungs- und Formfehlerkompensation
Produktionssystematik, Betriebswissenschaften, Qualitätsmanagement und Fabrikplanung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das wissenschaftliche Ziel dieses Vorhabens ist die Erarbeitung der theoretischen und experimentellen Grundlagen zur Integration adaptronischer Bauelemente in Werkzeugmaschinen. Diese adaptronischen Bauelemente sollen genutzt werden, um eine Bedämpfung der Maschinenstruktur bzw. deren Komponenten zu erreichen, Deformationen der Maschinenstruktur aktiv entgegenzuwirken und durch hochdynamische Zustellbewegungen des Werkzeugs Form- und Lagefehler des Werkstücks zu vermeiden, sowie die Konturvielfalt der bearbeiteten Oberfläche zu vergrößern. Als Demonstrator für diese Anwendung ist eine adaptronische Bohrstange für den Tiefbohrprozess ausgewählt worden. Als Ergebnis der Forschungsarbeiten steht eine umfangreiche Beschreibung zum Aufbau piezoaktorischer Zusatzachsen für Werkzeugmaschinen zur Verfügung. Am Beispiel der Entwicklung eines adaptronischen Bohrwerkzeugs zur gezielten Unrund- und Strukturierungsbearbeitung von Zylinderhülsen im Automobilbau konnten die Grundlagen zur Auslegung hochdynamischer Achsen erarbeitet werden. Es wurden verschiedene Konzepte zur Energie- und Datenübertragung der Achsen beschrieben und Leistungsverstärker zur Ansteuerung der Achsen ausgewählt. Die elektromechanischen Eigenschaften konnten in einem linearen Zustandsraummodell simuliert werden, und eine umfassende regelungstechnische Beschreibung zur Ansteuerung piezoaktorischer Werkzeugachsen wurde aufgestellt und untersucht. Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage zur Integration piezoaktorischer Achsen in Werkzeugmaschinen und können für weitere Anwendungen genutzt werden. In den Förderperioden des Schwerpunktprogramms wurden die Anforderungen bzgl. der Schwingungskompensation und der Unrundbearbeitung sowie der Aufbau des aktiven Bohrwerkzeugs, der hochdynamischen Zustellung der Schneiden- und der Führungsleistenachse beschrieben. Verschiedene Komponenten einer mechatronischen Werkzeugmaschinenschnittstelle für aktive Bohrwerkzeuge, bestehend aus Energie- und Datenübertragungssystem, Hochspannungsverstärker und digitalem Signalprozessor wurden verglichen. Eine Vorgehensweise zur Auslegung des Arbeitsbereichs und die Simulation des dynamischen Übertragungsverhaltens piezoaktorischer Achsen wurde erläutert. Durch die Erweiterung der aus der Literatur bekannten piezoelektrischen Sensor- und Aktorgleichung auf dynamische Anwendungen und die Kopplung mit einem mechanischen Festkörpergelenk sowie äußeren Lasten bzw. Prozesskräften konnten die elektromechanischen Eigenschaften der piezoaktorischen Achsen modellhaft beschrieben werden. Aus den so ermittelten elektromechanischen Grundgleichungen der piezoaktorischen Achsen wurde ein Zustandsraummodell in Matrizenform aufgestellt. In messtechnischen Untersuchungen wurde das dynamische Übertragungsverhalten der Achse bestimmt und das modellierte Ergebnis der piezoaktorischen Achse mit diesen Untersuchungen verglichen und optimiert. Das so erstellte Zustandsraummodell wurde zur Synthese verschiedener Regelkreise genutzt. Analog zur Regelung von Vorschubantrieben konnte eine mehrschleifige Kaskadenstruktur mit interner Rückführung des Aktorstroms, der Aktorspannung und des Aktorwegs zur Regelung der piezoelektrischen Achsen eingesetzt werden. Detailliert wurde die Auslegung verschiedener übergeordneter Lageregelkreise beschrieben. Weiterführend wurden die Ergebnisse der Modellbildung verwendet, um eine modellbasierte Zustandsregelung der piezoaktorischen Achse zu entwerfen. Da für die inneren Zustände wie die Achsgeschwindigkeit keine Sensoren zur Verfügung standen, wurde entsprechend den Anforderungen des mechatronischen Systems ein Kalman-Filter entwickelt, um die nicht messbaren Zustände der Achse rückführen zu können. In praktischen Versuchen wurde die modellbasierte Zustandsraumregelung hinsichtlich Dynamik, Stabilität und Entwicklungsaufwand der zuvor getesteten Notchfilter-Regelung gegenübergestellt. Die Bandbreite gegenüber der Notchfilter-Regelung stieg um 70 Hz auf 520 Hz. Die Auslegung des Zustandsreglers mit Kalman-Filter ist allerdings um ein Vielfaches aufwändiger. Zusätzlich führen kleinste Veränderungen der Regel- und Streckenparameter, zum Beispiel die Änderung des Sensorrauschens durch veränderte elektromagnetische Felder, zu einem instabilen Prozess. Die Notchfilter-Regelung erreicht das beste Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen und wurde daher für die Positionsregelung der piezoaktorischen Achse verwendet. Für Zerspanungsversuche mit gezielter Unrundbearbeitung wurde eine mathematische Beschreibung in Form einer Fourierreihe zur Sollwertgenerierung genutzt. Die Versuche mit der piezoaktorischen Schneidenachse zeigten, dass durch den Notchfilter-Regler das Schwingungsverhalten der Schneidenachse kompensiert werden kann. Entsprechend der Bandbreite und dem maximal zur Verfügung stehenden Hub von 70 µm folgte die Schneide den aus den Sollwertberechnungen vorgegebenen Auslenkungen der Unrundkontur mit einer maximalen Abweichung von 4,6 %. Rundheitswerte bis 1,3 µm und Zylinderwerte unter 6 µm konnten erreicht werden. Die Oberflächengüte der Hülsen war mit Rauhigkeitswerten von Ra < 0,5 µm und RZ < 2 µm sehr gut. Weiterführende Arbeiten in Bezug auf das entwickelte Bohrwerkzeug sind die Entwicklung eines berührungslosen Drehübertragers mit gekoppelter induktiver Leistungsübertragung und kapazitiver Signalübertragung, um eine verschleißfreie Energie- und Datenübertragung zu ermöglichen. Die verschleißbehaftete Nutzung eines Schleifringübertragers kann dadurch vermieden werden. Um das aktive Bohrwerkzeug nicht nur auf einer Sondermaschine betreiben zu müssen, sondern auch in einem flexiblen Bearbeitungszentrum, sollte ein Konzept zur automatisierten Einkopplung des Werkzeugs in die Bearbeitungsspindel erarbeitet werden, das die Übertragung von Hochspannungen und Sensorsignalen beinhaltet. Zur Optimierung piezoaktorischer Achsen sollten parametrisierbare Regler entworfen werden. Diese könnten z.B. den Proportionalanteil des Positionsreglers an die notwendige Bandbreite des Sollsignals anpassen, um das Überschwingen der Achse zu minimieren. Weitere Aspekte zur Parametrisierung der Regler könnten nichtlineare Aktoreigenschaften, wie die Temperaturabhängigkeit des dynamischen Verhaltens, darstellen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Adaptronisches Bohrwerkzeug zur Bearbeitung von Zylinderhülsen. Inno Innovative Technik-Neue Anwendungen, Nr. 32, 10. Jahrgang, 2005
Brecher, C.; Schauerte, G.; Lange, S.
- Adaptronic Drilling Tool - Design and Control of additive piezo actuatoric axis to compensate tool vibrations as well as form and position errors. UPT Forschungsgemeinschaft Ultrapräzisionstechnik E.V. März 2007
Brecher, C.; Schauerte, G.
- Adaptronisches Bohrwerkzeug – Piezoaktorische Zusatzachsen zur Kompensation von Bohrwerkzeugschwingungen. wt werkstatttechnik online, Online-Veröffentlichung: Heft: 5-2007 Mai 2007
Brecher, C.; Schauerte, G.
- IntiBo - Intelligent adaptronic drilling tool. Adaptronic Congress, Göttingen 2007
Brecher, C.; Schauerte, G.
- Modeling and simulation of adaptronic drilling tool axes as the basis of control design. Annals of the German Academic Society for Production Engineering (WGP), Heft-Nr. 3, 2007
Brecher, C.; Schauerte, G.
- Adaptronisches Bohrwerkzeug. Neue Anwendungsbereiche adaptronischer Systeme. VDI, F Fertigungsberichte 666, 1. Aufl., VDI-Verlag Düsseldorf 2008
Brecher, C.; Schauerte, G.
- Model based control of a piezo-actuated axis. The 41st CIRP Conference on Manufacturing Systems, Tokio 2008
Brecher, C.; Schauerte, G.; Merz, M.
- Piezoaktoren für die hochdynamische Schneidensteuerung im Zerspanungsprozess. Technologieforum, Daimler, Mannheim 2008
Brecher, C.; Schauerte, G.