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Aufgezeichnete Erfahrung. Zeichnen als Selbst- und Fremdwahrnehmung im Europa des Epochenumbruchs (1770-1830). Eine kulturanthropologische Studie

Fachliche Zuordnung Kunstgeschichte
Förderung Förderung von 2003 bis 2006
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5411718
 
Erstellungsjahr 2008

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt widmete sich Formen und Funktionen des Zeichnen im Kontext europäischer Forschungsreisen zwischen 1770 und 1830. In diesem Zeitraum vollzog sich die Anwendung empirischer Standards nach Maßgabe eines westlichen Konzepts von >Wissenschaftlichkeit< im globalen Maßstab. Signatur dieses emphatischen Begriffs von Forschung als »organisiertes Wegarbeiten von Verborgenheit« (Peter Sloterdijk) war neben der exakten Beschreibung der vorgefundenen Sachverhalte ihre Visualisierung in transportablen, vielfältig miteinander kombinierbaren Bildern. Produzenten dieses Bildmaterials waren Zeichner, die nun zu einem festen Bestandteil der Expeditionsmannschaften wurden. Zu den signifikanten Ergebnissen des Projekts zählt die sozial-, kunst- und wissenschaftshistorische Profilierung des >Reisezeichners< als eines epochenspezifisch bedeutsamen Bildproduzenten im Schnittbereich von ästhetischen und szientifischen Bildbedürfnissen. Neben einer vergleichenden Analyse der normativen Vorgaben für die zeichnerische Praxis, wie sie aus überlieferten Vertragsdokumenten und Instruktionen kenntlich werden, konnte die performative Bedeutung des Zeichnens und Bildermachens in der Dramaturgie des Kulturkontakts quellennah herausgearbeitet werden. Während dem europäischen Publikum nach intensiven Bearbeitungsprozeduren in opulenten Reisewerken konsistentes visuelles Material präsentiert wurde, das weitgehend vorgängigen Bilderwartungen entsprach, vermag die Analyse des zeichnerischen Primärmaterials die eminenten Schwierigkeiten aufzuzeigen, die aus der Aufgabe erwuchsen, komplexe Erfahrungswirklichkeiten in visuelle Dokumente zu überführen. In mediengeschichtlicher Perspektive leistet das Projekt einen Beitrag zur kritischen Rekonstruktion eines im globalen Maßstab organisierten Exports westlich-europäischer Bildpraktiken, der bislang allzu einseitig mit der Proliferation photographischer Bildverfahren gleichgesetzt worden ist. Die Schaffung eines globalen Imaginationsraumes begann schon im Zeitalter der manuellen Bildproduktion und war ebenso gekennzeichnet von der konfliktträchtigen Konfrontation kulturell divergierender Bildverständnisse wie von der Emergenz hybrider pikturaler Mischformen. Die Bildagenten der europäischen Expansion haben nicht nur die Wahrnehmungsweisen und die Phantasieorganisation der kontaktierten Ethnien nachhaltig verändert, sondern auch einer historischen Relativierung westlich-europäischer Bildteleologien vorgearbeitet.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Türkische Miniaturen. Daniel Nikolaus Chodowiecki als Beobachter der Osmanischen Gesandtschaft von 1763/64. - In: Europäische Ansichten. Brandenburg-Preußen um 1800 in der Wahrnehmung europäischer Reisender und Zuwanderer. Hrsg. v. Iwan-Michelangelo D'Aprile. - Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2004 (Aufklärung und Europa, 17), S. 69-100
    Rees, Joachim
  • Die verzeichnete Fremde. Ethnographisches (Auf-) Zeichnen 1800-1900 / The Recorded Other. Ethnographie Drawing 1800-1900. - In: Tauchfahrten. Zeichnen als Reportage. Hrsg. v. Clemens Krümmel u. Alexander Roob. Ausst. Kat. Kunstverein Hannover (27. Nov. 2004 - 30. Jan. 2005), Kunsthalle Düsseldorf (19. Feb. - 24. Apr. 2005). - Düsseldorf: Richter 2004, S. 20-27
    Rees, Joachim
  • Lust und Last des Reisens. Kunst- und reisesoziologische Anmerkungen zu Italienaufenthalten deutscher Maler 1770-1830. - In: Kennst Du das Land? Italienbilder der Goethezeit. Hrsg. v. Frank Büttner u. Herbert W. Rott. Ausst.-Kat. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, 4. Mai - 31. Juli 2005. Köln: Du Mont 2005, S. 55-79
    Rees, Joachim
  • Grafische Fremdkörper. Zeichnen und Kulturkontakt im Kontext europäischer Forschungsreisen, 1770-1900. - In: Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Hans-Peter Bayerdörfer, Bettina Dietz, Frank Heidemann u. a. - Münster: Lit-Verlag 2007, S. 207-238
    Rees, Joachim
  • Supplemente der Erinnerung. Zum Gebrauch von Druckgraphik in Reisetagebüchern des 18. Jahrhunderts. - In: Interkulturelle Kommunikation in der europäischen Druckgraphik im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Philippe Kaenel u. Rolf Reichardt. - Hildesheim/Zürich/New York: Olms 2007, S. 65-94
    Rees, Joachim
  • Die zweite Entdeckung. Brasilien und die Expansion europäischer Bildmedien im frühen 19. Jahrhundert. - In: Europäische Wahrnehmungen. Interkulturelle Kommunikation und Medienereignisse. Hrsg. v. Joachim Eibach u. Horst Carl (Historische Formationen Europas, 3). - Hannover: Wehrhahn, 2008, S. 255- 281
    Rees, Joachim
  • Die verzeichnete Fremde. Formen und Funktionen des Zeichnens im Kontext europäischer Forschungsreisen 1770-1830, Paderborn: Wilhelm Fink 2015, 487 S.
    Joachim Rees
 
 

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