Historische Hangrutschungen im Bereich der Schwäbischen Alb: Rekonstruktion, Wahrnehmung und Umgang früherer Gesellschaften mit einem Naturrisiko
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Untersuchungen der ersten Projektphase hatten gezeigt, dass die Koppelung von Einzelfalluntersuchungen und der Gesamtbetrachtung durch Quellen, die wie die Oberamtsbeschreibungen oder Karten flächendeckende Aussagen ermöglichen, bereits sehr ergiebig war. Es hatte sich außerdem herausgestellt, dass der Bestand der sog. Allmandsbeschreibungen in vielfacher Weise aufschlussreich sein konnte, weil oft die Allmendflächen betroffen waren. Demgegenüber ist auch weiterhin nichts einzuwenden, allerdings kamen wir in der zweiten Projektphase zu der Erkenntnis, dass es am sinnvollsten ist, in zentral archivierten Beständen die einzelnen Oberamts- und Forstamtsbezirke des Untersuchungsgebietes systematisch durchzugehen und dabei keine Quellengattung und kein Sachgebiet auszulassen, auch wenn der Zusammenhang mit der Fragestellung auf den ersten Blick abwegig erscheinen könnte. Die Recherche ging auf diese Art und Weise sehr viel schneller voran, nachdem uns klar geworden war, wo und wie man in den Archiven suchen muss. Dadurch gelang es uns z. B. für das Testgebiet „Unterhausen", auf das sich die anderen TP konzentrierten, bislang unbekanntes Quellenmaterial zutage zu fördern und, außer einer in der Reutlinger Oberamtsbeschreibung erwähnten Rutschung aus dem Jahre 1758, noch drei weitere Rutschungen, die sich in den Jahren 1770 und zwei davon 1789 auf der selben Gemeindemarkung aber an anderen Hängen ereigneten, belegen zu können. Im Fall von Öschingen hatten wir leider weniger Glück. Dies lag in erster Linie an der Quellenlage, da das Archiv leider große Lücken aufweist, wenngleich sich dieser weiße Fleck durch andere Funde kompensieren lässt. in Hinblick auf die Frage, wie sich im 19. Jahrhundert entstehendes Expertenwissen auf die Wahrnehmung und Bewertung der Hangrutschungen ausgewirkt hat, wurde außerdem auch die frühe ingenieurgeologische Literatur und Zeitschriften ausgewertet. Insgesamt haben unsere umfangreichen Archiv- und Literaturrecherchen und Auswertungen gezeigt, dass sich die Annahme, dass „alles bekannt" sei ebensowenig aufrechterhalten lässt wie die Mutmaßung, dass man in den Archiven nichts finden würde. Den Gegenbeweis haben wir bereits dadurch erbracht, dass wir eine lange Liste von Ereignissen gravitativer Massenbewegungen am Albtrauf erstellen konnten, die alles bisher Bekannte in den Schatten stellt. Es zeigt dadurch zum einen, dass die Frequenz der Rutschungsereignisse sehr viel höher ist als man bisher angenommen hatte, somit auch das Risiko entsprechend höher einzustufen ist. In diesem Zusammenhang wird ebenfalls deutlich, dass viele undatierte aber im Gelände sichtbare Hinweise auf erfolgte frühere Rutschungen mitnichten prähistorisch sind, sondern historisch, wie dies bereits an den Flurnamen wie „Rutsch", „Schliff', „Erdprüsten" oder „Im Schußpletzen" ersichtlich wird, da sich in der Benennung die von Zeitzeugen konstatierte Erdbewegung widerspiegelt. Grob datieren, aber relativ genau lokalisieren lassen sich diese Rutschungen durch entsprechende Ersterwähnungen in Lagerbüchern. Genauer datieren lassen sich hingegen Ereignisse aus dem 18. Jahrhundert, aufgrund einer besseren Quellenlage und dem gesteigerten Interesse an Naturbegebenheiten im Zuge der beginnenden Landesbeschreibung. Was die Auslöserfaktoren betrifft, gibt es ab dem 17. Jahrhundert zu vielen Ereignissen genaue Daten, die über Starkregen bzw. anhaltenden Niederschlag, Schneeschmelze oder Erdbeben oder eine Verknüpfung mehrerer Faktoren Auskunft geben. Auffallend sind hierbei zwei Hochwasserereignisse des ausgehenden 18. und des frühen 19. Jahrhunderts, die zeitgleich flächendeckend zu einer Vielzahl von Rutschungen führten. Bei jüngeren Ereignissen aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert liefern uns die Quellen zusätzliche Informationen, die es uns erlauben, den Prozess und die Magnitude des entsprechenden Ereignisses exakt zu rekonstruieren, ebenso wie es die Quellenlage ermöglicht, Entwicklungsprozesse einer sich verändernden Wahrnehmung genau nachzuvollziehen. Die „Sattelzeit" um 1800 als Einstieg in die Recherche zu wählen, hat sich im Nachhinein als richtig erwiesen, ebenso wie unser auf dieser Vorannahme gravierender gesellschaftlicher Umbrüche im Zeitalter der Aufklärung aufbauendes „Vier-Phasen-Modell" nur verfeinert werden musste, aber ansonsten validiert werden konnte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Historical landslides on the Swabian Alb. Reconstruction, perception and living of earlier societies with a natural risk. In: European Geoscience Union (Hrsg.), Abstracts. I. General Assembly, Nizza (Frankreich), 26.-30.4.2004 (auf CD-ROM)
Dix, A., Röhrs, M. & Killinger, S.
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Integrative landslide risk analysis and risk evaluation in the Swabian Alb, Germany. In: CENAT (Hrsg.), Risk21 - Coping with Risks due to Natural Hazards. - 29.11. - 3.12.2004, Monte Verità, Ascona (Schweiz), S. 35
Glade, T., Pohl, J., Dix, A. & Braun, B.
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Landslide risk assessment and perception in the Swabian Alb. In: European Geoscience Union (Hrsg.), Abstracts. I. General Assembly, Nizza (Frankreich), 26.-30.4.2004 (auf CD-ROM)
Glade, T., Pohl, J., Dix, A., Braun, B., Terhorst, B. & Bibus, E.
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2005. Reconstruction of the perception of historical landslides on the Swabian Alb, Germany. European Geosciences Union, 2. General Assembly, Wien (Österreich)
Dix, A.
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2006. Historische Hangrutschungen an der Schwäbischen Alb. Rekonstruktion und Wahrnehmung. Tagung des DFG-Netzwerkes „Historische Erforschung von Katastrophen in kulturvergleichender Perspektive", Stuttgart
Dix, A.
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2006. Landslides at the escarpment of the Swabian Jura. A history of perception. 13th International Conference of Historical Geographers, Hamburg
Dix, A.
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2006. Landslides at the Swabian Alb. Societal perceptions and reactions in history. The Permanent European Conference for the Study of the Rural Landscape
Dix, A.
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2006. Natural hazards and their historical records. A Landslide case study. European Geosciences Union, 3. General Assembly, Wien (Österreich)
Dix, A., Röhrs, M.
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2006. The development of geology as a discipline of science in the German south-west as a mirror for a changing point of view on landslides at the Swabian Alb within the 19th and the beginning 20th century
Seeling, S., Dix, A. u.a.
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2007. Landslides as a natural risk in history. A case study of the Swabian Alb in Germany. 4th Biannual Conference, European Society for Environmental History, Amsterdam (Niederlande)
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2007. Vergangenheit versus Gegenwart? Potenziale, Risiken und Nebenwirkungen bei der Kombination von historischen und aktuellen Ansätzen der Naturgefahrenforschung. Workshop des DFG-Netzwerkes „Historische Erforschung von Katastrophen in kulturvergleichender Perspektive", Freiburg/Buchenbach
Dix, A.