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Suburbane Erfahrungsräume: das nördliche Umland Hamburgs von den 1950er Jahren bis in die 1970er Jahre

Applicant Professor Dr. Axel Schildt (†)
Subject Area Modern and Contemporary History
Term from 2004 to 2008
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5415526
 
Final Report Year 2008

Final Report Abstract

Die Suburbanisierung stellte die grundlegende Form der Urbanisierung in den entwickelten westeuropäischen Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts dar. Wie am Beispiel von Hamburg, der größten Stadt der alten Bundesrepublik, und dem angrenzenden schleswigholsteinischen Umland gezeigt wurde, führte die Ausbreitung von Städten über die jeweiligen administrativen Grenzen hinaus zur Urbanisierung stadtnaher, vormals agrarisch strukturierter Gebiete. Infolgedessen veränderte sich das Leben dort seit den fünfziger Jahren nachhaltig. Der von der Mittelschicht, die im starken Maße vom „Wirtschaftswunder" und der Erweiterung des Sozialstaats profitierte, angeführte „Zug ins Grüne" spiegelte die gestiegenen Ansprüche an Wohnlage, -fläche und -komfort und wurde von den relativ niedrigen Baulandund Eigenheimpreisen am Stadtrand befördert. Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrssystems wirkte zudem die nach dem Zweiten Weltkrieg stark zunehmende Automobilisierung gleichsam als Motor der Suburbanisierung. Die bis dahin mehr oder weniger urbanisierten Gemeinden an der nördlichen Peripherie von Hamburg besaßen bei allen infrastrukturellen Defiziten nicht bloß einen ausgeprägten Selbstbehauptungsanspruch, sondern durchaus auch eigene Qualitäten. Zum bloßen Entlastungswohnort oder gar „Schlafzimmer" für die nahe Großstadt konnten die betroffenen schleswig-holsteinischen Gemeinwesen jedenfalls nur schwerlich abqualifiziert werden. Vor allem der Wohn- und Freizeitwert der Umlandgemeinden stach hervor, allmählich verbesserten sich jedoch auch das Arbeitsplatzangebot sowie die Konsum- und Bildungsmöglichkeiten. Gemeinsam mit Hamburg, das als Kemstadt nach wie vor wichtige Funktionen übernahm, erlebten die suburbanen Gemeinden einen enormen Modernisierungsschub. Es bildeten sich eng miteinander verflochtene Teilräume heraus, die zusammen eine polyzentrische, funktional spezialisierte Metropolregion bildeten. Hier setzten verschiedene, von kommunaler Seite betriebene Imagekampagnen an. Einerseits wurden die Vorzüge der städtischen Peripherie als Industrie- und Gewerbestandort hervorgehoben, andererseits - durchaus paradox - die Qualitäten von Suburbia als ruhiger Wohnort „im Grünen" betont. Insgesamt führte die Diversifizierung der Raumstrukturen zu einem tiefgreifenden Wandel der Ortsbilder. Mit der Zunahme der individuellen Mobilität - dies wurde im Rahmen des DFG-Projekts auf breiter Quellengrundlage sorgfaltig herausgearbeitet - bildeten weite Teile der Bevölkerung einen stark differenzierten, nicht an einen bestimmten Raum gebundenen Lebensstil aus. Dabei profitierten sie von der sukzessiven Ausweitung des persönlichen Freizeitbudgets, die in den fünfziger Jahren einsetzte. Fortan ließ sich das Land- und Stadtleben ohne gravierende Probleme miteinander kombinieren; die Zahl der Berufspendler nahm erheblich zu. Die gewachsene Mobilität hob jedoch nicht alle soziale Hierarchien und Schichtgegensätze auf. Besonders die in einer suburbanen Gemeinde lebenden, neu zugezogenen Hausfrauen von in der Stadt berufstätigen Männern, die sogenannten „Grünen Witwen", die nicht auf einen familiären Zweitwagen zurückgreifen konnten, sowie Jugendliche und Senioren waren größtenteils auf die Konsum- und sonstigen Angebote in ihrem möglicherweise sehr abgelegenen Wohnort angewiesen. Hierbei kam ihnen der oben beschriebene Strukturwandel und die damit verbundenen Verbesserungen des Lebensstandards zugute. Allerdings blieben die Umlandgemeinden nach wie vor eng mit Kernstädten wie Hamburg verflochten. So erlebten beide Geschlechter die für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts charakteristische Verinselung des Lebens, die im Zuge der wachsenden Beschleunigung mit einer immer flüchtigeren Raumwahrnehmung einherging. Dies traf, so der französische Ethnologe Marc Auge, nicht bloß auf (sub)urbane Erfahrungsräume, sondern desgleichen auf „Nicht-Orte" wie Autobahnraststätten, Bahnhöfe, Flughäfen, Shopping-Center oder Freizeitparks zu. In solchen Transit- und Aktionsräumen ohne hervorstechende Eigenschaften wurden kurze, zweckgebundene Aufenthalte zur Regel. Das für drei Jahre geförderte Projekt, bei dem im Februar 2005 ein Wechsel des Bearbeiters vorgenommen werden musste, befindet sich in der Endphase der Niederschrift. Ergebnisse sind bisher in längeren Aufsätzen, mehreren Vortragen sowie in universitären Seminaren vorgestellt worden. Die kurz vor dem Abschluss stehende Monographie soll in den Reihen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg 2009/10 publiziert werden.

 
 

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