Urbanisierung als kulturelles Projekt: Stadtumbau im Großraum Lissabon
Final Report Abstract
Im Zuge der Restrukturierung der globalen Ökonomie, durch Deindustrialisierung und die Veränderung der Transport- und Verkehrsinfrastrukturen brachgefallene urbane Wasserfronten stellen Flächen von großem ökonomischen Wert dar, die für neue, innovative Planungs- und Urbanisierungsvorhaben großen Maßstabs verfügbar sind. Die Realisierung derartiger großer Vorhaben erfordert komplexe Aushandelprozesse zwischen Planern, Investoren, Planungsbetroffenen und kommunalen Entscheidungsträgern und ist oft von großen Konflikten begleitet, die - so die These des Projektes - nicht allein aus wirtschaftlichen oder politischen Interessengegensätzen zu erklären sind, sondern vor dem Hintergrund kultureller Diskurse und Praktiken der involvierten Akteure gedeutet werden muss. Als beispielhafte Fallstudie diente der Konflikt um ein riesiges Immobilienprojekt für die Wasserfront der portugiesischen Gemeinde Almada, die am südlichen Ufer des Tejo gegenüber der historischen Altstadt von Lissabon liegt. Ein Immobilienfonds plante, nach der für das Jahr 2000 anvisierten Schließung der dort befindlichen Reparaturwerft für Großtanker ein spektakuläres Hochhausprojekt mit Türmen bis zu 80 Stockwerken zu errichten. Dieses Vorhaben lehnte die Kommune entschieden ab und schrieb ihrerseits einen internationalen Architekturwettbewerb aus. Der von einem portugiesisch-britischen Konsortium um den Stararchitekten Richard Rogers in der Folge entwickelte Plan, die in ihn eingehenden Interessen der Kommune und die öffentliche Diskussion um das noch unabgeschlossene, in Entwicklung befindliche Projekt, das den Namen "Cidade de Agua" erhielt, wurde in einer qualitativen Feldforschung in den Jahren 2004-07 intensiv begleitet. Dabei konnte gezeigt werden, dass die politischen Eliten und andere lokale Akteure den gesellschaftlichen Topos der Modernisierung - klassisch als Überwindung ökonomischer und soziokultureller Rückständigkeit definiert - heute im Zuge von Europäisierungsprozessen und in Reaktion auf Globalisierungsphänomene in Portugal ganz neu verhandeln. In Portugal haben sich Städtebau und Regionalentwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu einem gesellschaftlich dominanten Diskursthema entwickelt. Das Projekt konnte zeigen, dass Vorstellungen davon, welche Ziele der Städtebau zu verfolgen hat und wie Raumordnung politisch gesteuert werden soll, in erheblichem Maß von historisch generierten, national spezifischen Leitbildern bestimmt sind. Das Projekt hat für diese Leitbilder und die von ihnen angeleiteten Praxisformen den Begriff der "Planungskultur" aufgenommen und weiterentwickelt. Gegenstandsbereiche, die besonders aussagekräftig für die Analyse von gesellschaftsspezifischen Planungskulturen sind, sind Beteiligungsverfahren, die Planungsbetroffene in Planungsprozesse einbeziehen, und der Umgang mit historischer Bausubstanz. Der Erklärungsansatz der Planungskultur verdeutlicht auch, warum internationale Standards und Modeile immer lokal adaptiert und an vor Ort existierende Vorstellungen und Praxisformen anschlussfähig gemacht werden müssen, um erfolgreich umgesetzt werden zu können.
Publications
- "Contested Modernities. Politics, culture, and urbanisation in Portugal. A case study from the Greater Lisbon Area" In: Ethnologia Europaea. Journal of European Ethnology. Vol 36:2 (2007) p. 36-53
Welz, Gisela, Blum, Eva-Maria
- "Planungskulturen im Konflikt. Stadtumbau im Großraum Lissabon". In: Zeitschrift für Volkskunde Band l (2007) S. 39-63
Blum, Eva Maria