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Die nichtpriesterliche Sinaiperikope (Ex 19-24; 32-34) als Testfall der Pentateuchkritik

Fachliche Zuordnung Katholische Theologie
Förderung Förderung von 2003 bis 2007
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5418946
 
Erstellungsjahr 2007

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Vor dem Hintergrund der sog."Pentateuchkrise« wurden die derzeit wichtigsten Modelle zur Genese des Pentateuch auf ihre Leistungsfähigkeit hin getestet. Dies geschah mittels einer Detailanalyse der nichtpriesterschriftlichen Sinaiperikope (Ex 19- 24; 32-34), wobei der Schwerpunkt auf die hintere Sinaiperikope (Ex 32-34) gelegt wurde. Keines der aktuellen Pentateuchmodelle wurde von diesem Textbereich her entwickelt. Gleichzeitig aber gilt, dass sich jedes Modell an diesem Textbereich bewähren muss. Für Ex 32-34 konnte eine vordeuteronomische Komposition nachgewiesen werden, die einen Grundbestand der Erzählung vom Goldenen Kalb (Ex 32*) umfasst und welche gleichzeitig für die Einfügung des Bundesbuches in die vordere Sinaiperikope verantwortlich sein dürfte. Diese Komposition verarbeitet die Schrecken des Untergangs des Nordreichs 722 v. Chr. einerseits und des Sanherib-Feldzugs 701 v. Chr. andererseits. Erstmalig wird hier eine gemeinsame Schuldgeschichte von Nord- Südreich konstruiert, bei der die Gerichtsprophetie des Nordreichs an den Sinai wandert. Dabei wird die für die Zukunft bedeutungsvolle Verbindung von Erzählung und Gesetz geschaffen. Mose trat am Sinai für Israel fürbittend ein, konnte aber nur einen Strafaufschub bis 722 bzw. 701 aushandeln (vgl. Ex 32,30-34*). Die zweite Kompositionsstufe wird durch die Fortschreibung Ex 33,12-17; 34* gebildet. Sie kann als deuteronomisch qualifiziert werden. Während die vordeuteronomische Komposition mit einer harten Gerichtsansage endet, wird nun eine Zukunftsperspektive auf Basis der sog. Gnadenrede (Ex 34,6-7) und des Privilegrechts (Ex 34,12-26*) eröffnet. Die Verpflichtung Israels auf das Gesetz wird dabei in 34,27 erstmalig als Bundesschluss formuliert. Das Privilegrecht, innerhalb dessen nur 34,13.15-16 als Fortschreibungen zu werten sind, stellt nicht das älteste Gesetzeskorpus dar. Vielmehr setzt es die entsprechenden Parallelen innerhalb des Bundesbuches voraus und steht traditionsgeschichtlich dem Dtn nahe. In Ex 34,18- 26 werden die Kultvorschriften des Bundesbuches an die Rahmenbedingungen der Kultzentralisation angepasst. Das Bündnisverbot 34,12-14 dürfte als Reaktion auf den Niedergang der assyrischen Vorherrschaft zu deuten sein. Einer Bündnispolitik jeglicher Art wird eine konsequente Absage erteilt. Den historischen Hintergrund dieser Fortschreibung dürften die mit der Person Joschijas verbundenen Restaurationshoffnungen im ausgehenden 7. Jh. v. Chr. bilden. Eine dritte Kompositionsstufe ist als nachpriesterschriftlich-nachdeuteronomistisch zu etikettieren. Sie ist nahezu mit dem heute vorliegenden Text identisch und dürfte in nachexilischer Zeit zu verorten sein. In der vorderen Sinaiperikope ist ihr der Abschnitt 19,3b-8 sowie die Einfügung des Dekalogs zuzuschreiben. Kennzeichen dieser Komposition ist ihre Enneateuchperspektive. Rückwärts wird die Sinaiperikope mittels intertextueller Verweise mit der Genesis verknüpft, nach vorn hin reicht der Blick über den Pentateuch hinaus bis zu den Königebüchern. Eine dezidierte Pentateuchredaktion, die den Pentateuch als eigenständige Kanongröße abtrennt, lässt sich für die Sinaiperikope nicht nachweisen. Theologisch wird auf dieser Stufe Herausragendes geleistet: In Ex 34,8-11 wird eine reflektierte Gnadentheologie formuliert, die sowohl die Vorgaben der Priesterschrift wie auch des Deuteronomismus sprengt. In Ex 34,8-11 legt Mose zum dritten Mal für Israel Fürbitte ein. Während die erste Fürbitte eine unmittelbare Vernichtung Israels abwenden konnte (32,7-14), die zweite, vordeuteronomische Fürbitte scheiterte (32,30-34), wird nun Vergebung gewährt, obwohl Israel ein"halsstarriges Volk« ist. Umkehr als Vorbedingung des Heils, wie dies für die dtr Theologie typisch ist, wird nicht erwähnt. Zugleich aber wird im Unterschied zur priesterschriftlichen Theologie der reinen Gnade an der Verpflichtung auf das Gesetz festgehalten. Ex 34 in seiner heute vorliegenden Gestalt formuliert faktisch die Gerechtsprechung des Sünders. Die von Dtn 30,1-10 ebenso wie von der Prophetie für die Zukunft verheißene Gerechtmac/?u/?g des Sünders steht dazu nicht im Widerspruch. Ex 32-34 ist auf die prophetische Überbietung durch den neuen Bund (Jer 31,31-34) hin interpretatoriscn offen. Mit Blick auf die aktuelle Forschungssituation sind folgende Punkte hervorzuheben: (1) Keines der aktuellen Pentateuchmodelle wird der Komplexität des Textbefunds gerecht. (2) Entgegen des derzeit nahezu übermächtig erscheinenden Trends zur Spätdatierung (vgl. die Modelle von E. Blum, R.-G. Kratz und E. Otto) ist an vorexilischen Kompositionsstufen innerhalb der gesamten Sinaiperikope festzuhalten. Die Reflexion über eine gemeinsame Schuldgeschichte setzt nicht zwingend das babylonische Exil voraus. Vielmehr ist mit dem dritten Feldzug des assyrischen Großkönigs Sanheribs (701 v. Chr.) ein Datum gegeben, das nach dem Untergang des Nordreichs (722 v. Chr.) den Auslöser bildete, eine gemeinsame Schuldgeschichte von Nord- und Südreich aufzuarbeiten. Im Rahmen dieses Feldzugs wurde Juda auf einen Stadtstaat Jerusalem reduziert und erstmalig kam es in Südreich zu Deportationen. Die Schrecken dieses Feldzugs werden in der deuteronomistischen Geschichtsschreibung zugunsten der Errettung Jerusalems übergangen, um die Eroberungen Jerusalems durch Nebukadnezzarzum Nullpunkt der Katastrophe zu stilisieren. Damit differenzieren sich die vorexilischen Kompositionsstufen aus: Ex 32-34* setzt bereits einen Textbestand der vorderen Sinaiperikope (Theophanie Ex 19-20*; Opferfest Ex 24*) voraus, der somit ins 8. Jh. zu datieren ist. Umgekehrt wird Ex 32* noch in spätvorexilischer Zeit mit Ex 34* fortgeschrieben. Entlang dieses Befundes kann am ehesten das Münsteraner Pentateuchmodell justiert werden. (3) Eine vorpriesterschriftliche deuteronomistische Redaktion ließ sich nicht nachweisen. Damit fällt praktisch das Modell von E. Blum. Demgegenüber ist im Anschluss an E. Otto und H.-C. Schmitt mit einem breiten Anteil nachpriesterschriftlicher Redaktion zu rechnen - wenn auch der Anteil dieser späten Redaktionen deutlich geringer ausfällt, als dies bei Otto und Schmitt der Fall ist. (4) Gegen E. Otto kann die nachpriesterschriftliche Redaktion jedoch weder als Pentateuch- noch als Hexateuchredaktion etikettiert werden. Typisch für die Gesamtkomposition ist vielmehr ihre Enneateuchperspektive, die intertextuelle Verweise von der Genesis bis zum Ende der Königebücher setzt. Dies führt zu der paradoxen Forderung, dass die weitere Pentateuchforschung fortan nur noch als Enneateuchforschung betrieben werden kann. (5) Trotz der vorhandenen Enneateuchperspektive ist das letzte Urteil über ein Deuteronomistisches Geschichtswerk noch nicht gesprochen. Von der Sinaiperikope her legt es sich nicht nahe, mit einem kontinuierlichen Anwachsen vom Hexateuch hin zum Enneateuch zu rechnen, wie dies im Modell von R.-G. Kratz der Fall ist. Mehrere Beobachtungen sprechen dafür, dass auf der Ebene der nachpriesterschriftlich- nachdeuteronomistischen Komposition die Sinaiperikope mit einem eigenständigen Deuteronomistischen Geschichtswerk verknüpft wird. Dem korrespondiert der auffällige Befund, dass innerhalb der Sinaiperikope das babylonische Exil zwar seine Spuren hinterlassen hat, eine spezifisch exilische Redaktion sich jedoch nicht nachweisen lässt. Vermutlich bedeutete das Exil einen derartigen Einschnitt, dass man die alten Entwürfe zunächst nicht fortschrieb, sondern mit Priesterschrift und Deuteronomistischem Geschichtswerk neue Geschichtskonstruktionen geschaffen wurden, die den Landverlust reflektierten. Erst aufgrund der mit dem Rückkehr aus dem Exil verbundenen restaurativen Hoffnungen war es möglich, an den alten Entwürfen weiter zu arbeiten, die die Möglichkeit eines Landverlusts bzw. einer vollständigen Vernichtung Israels noch nicht im Blick hatten.

 
 

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