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Kulturgeschichte der Außenpolitik im ausgehenden Zarenreich (1871-1914)

Subject Area Modern and Contemporary History
Term from 2004 to 2009
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 5421148
 
Final Report Year 2009

Final Report Abstract

Diplomatiegeschichte war noch bis vor kurzem eine Disziplin, die entweder der Beschreibung der individuellen Taten von sogenannten „großen Männern“ diente oder aber von Staaten sprach, als ob diese menschliche Wesen seien. Die „Staatsräson“ erschien als eine a priori gegebene Größe, die dem Historiker als Maßstab galt, um historische Entscheidungen zu loben oder zu tadeln. In Abgrenzung davon lautete die Ausgangsthese dieses Projekts, daß weder Männer noch Staaten als Einzelakteure entscheidend sind. Entscheidend ist, welcher Sprache, also welches Zeichensystems, sich die einzelnen Diplomaten bedienten. (1) Erstens ist in diesem Projekt die These bestätigt worden, daß in der Diplomatie nicht nur wichtig ist, welche Inhalte verhandelt werden, sondern genauso entscheidend ist, in welcher Form dies geschieht. Es hat sich gezeigt, daß viele Verhandlungsergebnisse erst verständlich werden, wenn man die verwendete Formensprache analysiert. Die Frage, wer neben wem sitzt oder steht, welche Kleidung zu tragen ist, welche Gesten, Liebenswürdigkeiten und Geschenke ausgetauscht werden, ob man im Kaukasus in einer Strickjacke, auf der Präsidenten-Ranch in Jeans oder im Weißen Haus in Smoking zu erscheinen hat, ist keineswegs nebensächlich oder folkloristisches Beiwerk, sondern elementarer Bestandteil der Verhandlungen. Hierarchien und Wertschätzung, das Maß an Vertrauen und Aufgeschlossenheit, Konzilianz oder Kompromißlosigkeit werden meist zunächst in diesem nonverbalen Zeichensystem ausgedrückt. (2) Das Protokoll ist genaugenommen eine Kunstsprache, die sich in der westlichen Hemisphäre als einheitliches Zeichensystem entwickelt hat; es dient den Unterhändlern als verläßliche Operationsbasis und sorgt damit für Erwartungssicherheit Das Protokoll ist „Wörterbuch“ und „Grammatik“ zugleich, um alle Akteure mit dem gleichen Referenzsystem und Deutungshorizont auszustatten. Während sich vor 1917 alle Weltmächte über diese gemeinsame Sprache einig waren, lehnten nach 1917 die Vertreter der Sowjetunion das Protokoll als westlich-bourgeoises Zeichensystem immer wieder ab. Viele Kommunikationsprobleme resultierten genau daraus, daß gerade Chruschtschow das Protokoll ignorierte, sabotierte oder sehr eigenwillig interpretierte. (3) Diplomatie, so meine These, ist daher grundsätzlich interkulturelle Kommunikation, in die mindestens drei Zeichensysteme involviert sind: (1) die eigene Sprache und der eigene kulturelle Horizont, (2) die fremde Sprache und dessen Deutungssystem und schließlich (3) die gemeinsame Sprache des Protokolls. Um diplomatische Verhandlungen und ihr Ergebnis zu verstehen, ist entscheidend festzustellen, auf welcher der drei Ebenen verhandelt wurde. Nur im Idealfall beeinflussen die eigene und die fremde Sprache nicht die neutrale des Protokolls.

Publications

  • „Die Sache mit Chruschtschows Schuh“. In: DAMALS. Das Magazin für Geschichte und Kultur 37 (2005) 10, S. 8-11
    Susanne Schattenberg
  • „‚Gespräch zweier Taubstummer’? Die Kultur der chrušcevschen Außenpolitik und Adenauers Moskaureise 1955“. In: Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens (2007) 7, S. 27-46
    Susanne Schattenberg
  • „Die Sprache der Diplomatie oder Das Wunder von Portsmouth. Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Außenpolitik“. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 56 (2008) 1, S. 3-26
    Susanne Schattenberg
  • „The diplomat as an actor on a great stage before the whole people’? A cultural history of diplomacy and the peace negotiations of Portsmouth in 1905. In: The Diplomats’ World. A Cultural History of Diplomacy, 1815-1914, hg. v. Markus Mösslang und Torsten Riotte, Oxford 2008, S. 167-194
    Susanne Schattenberg
 
 

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