Wechselwirkung von Orientierungsrelaxation und Scherfluss in dünnen Filmen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Projekt wurden dynamische Prozesse und Strukturbildung in freitragenden smektischen Filmen untersucht. Im ersten Förderabschnitt wurden durch Polarisationsmikroskopie die Orientierungsdynamik und mit Hilfe von Probepartikeln die Flussfelder in solchen Filmen bestimmt. Damit war es erstmals möglich, quantitative experimentelle Daten zur Kopplung von Scherfluss und Orientierung in diesen Systemen zu erhalten. Für das Experiment wurde die Relaxation speziell präparierter Anfangszustände in Abwesenheit äußerer elektrischer Felder ausgewählt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen liefern den direkten Nachweis der Kopplung von Scherfluss und Orientierungsfeld. Sie beweisen, dass vorher gebräuchliche Modelle zur Beschreibung der Relaxationsdynamik zu stark vereinfacht waren. Flusskopplung liefert in den meisten Fällen den Hauptbeitrag zur Relaxation. Auf der Grundlage kommerzielle Software (Femlab, COMSOL) wurden Programme entwickelt, mit denen diese Kopplung von Fluss- und Orientierungsfeldern in freitragenden Filmen beschrieben werden kann. Zunächst beschränkte sich die Modellierung auf elastische Einkonstantennäherung und axiale Symmetrie der Deformationen. Damit läßt sich eines der einfachsten dynamischen Experimente mit anisotropen Flüssigkeiten modellieren. Der Vergleich experimenteller mit berechneten Direktor- und Flussfeldern liefert Daten zu Scherviskositäten in der smektischen C-Phase. Die Bedeutung dieser Messungen liegt darin, dass es kaum alternative Experimente gibt, mit denen sich diese Größen direkt bestimmen lassen. Darüberhinaus wurde im Experiment ein neuer, diskontinuierlicher Reorientierungsmechanismus gefunden (stick-slip-Dynamik). Er tritt in Filmen mit einem zentralen topologischen Defekt der Stärke +1 auf. Im Rahmen einer analytischen Beschreibung lässt sich dieses Verhalten qualitativ auf die Anisotropie der elastischen Konstanten zurückführen. Das beobachtete Phänomen läßt Rückschlüsse auf die bisher kaum beachtete Reorientierungsdynamik in der Nähe von singulären Punkten des Direktorfeldes zu. Weitere Ergebnisse wurden bei der Untersuchung von Selbstorganisationsphänomenen von Inklusionen in freitragenden Filmen erzielt. Es wurde gezeigt, wie durch die Methode der konformen Abbildungen analytische Gleichgewichtskonfigurationen von Direktorfelder gewonnen werden können. Analogien zu Problemen der Strömungsdynamik lassen sich konstruieren. Das Verfahren wurde angewandt, um die Wechselwirkungen von Tropfen auf Filmen in der smektischen C-Phase zu beschreiben. Im zweiten Förderabschnitt wurde die Entwicklung des Modells zur mathematischen Beschreibung der beobachteten Dynamik abgeschlossen. Die wesentlichen Verbesserungen bezüglich des vorherigen Standes betreffen die Einbeziehung des Tiltwinkels als Ordnungsparameter, um die Dynamik von Direktorfeldern mit topologischen Defekten beschreiben zu können, die Erweiterung auf voneinander unabhängige elastische Konstanten und auf allgemeine Geometrien. Das numerische Simulationsprogramm wurde auf eine Reihe von typischen Relaxationsphänomenen und Schaltprozessen in frei tragenden Filmen angewandt. Die vorher entwickelte Technik der Beobachtung des Flussfeldes in freitragenden Filmen durch Probepartikel wurde zur quantitativen Messung von Flussgeschwindigkeiten und Flussprofilen genutzt. Damit ist eine quantitative Bestimmung von viskoelastischen Parametern möglich. Es wurde die Ankopplung des Direktors an Inklusionen untersucht, sowie die resultierenden Wechselwirkungen solcher Inklusionen untereinander und mit dem umgebenden Direktorfeldes. Ein wichtiges Ergebnis ist der Nachweis, dass die spontane bend-Konstante, die in der Freien Energie mit der Rotation des Direktors linear verknüpft ist, das Direktorfeld um Inklusionen wesentlich mitbestimmen kann. Die Beobachtung der Bewegung von Partikeln auf geneigten Filmen liefert ein einfaches Verfahren zur quasi-zweidimensionalen Rheometrie. Aus der Lösung der gekoppelten Bewegungsgleichungen mit einer Finite-Elemente-Methode lassen sich die Wechselwirkungen zwischen Scherfluss und Direktorreorientierungen in der Nähe sich bewegender Partikel ableiten. Der quantitative Vergleich mit Beobachtungen in smektischen A und C Filmen liefert neue Ergebnisse zur Rheologie in zwei Dimensionen. Es wurden strukturbildende Instabilitäten in der Nähe von Inklusionen untersucht und als Splay-Domanen identifiziert. Dabei wurde erstmals AFM an freitragenden Filmen zur Strukturcharakterisierung eingesetzt. Weiterhin konnte eine spontane periodische Struktur identifiziert werden, die sich nur durch die Annahme eines Vorzeichenwechsels der bend-Konstanten interpretieren lässt. Der Einfluss dieser negativen effektive bend-Konstanten auf die Dynamik und auf Gleichgewichtskonfigurationen des Direktors wurde experimentell charakterisiert und in einfachen Modellen quantitativ beschrieben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Colloidal inclusions in smectic films with spontaneous bend. Eur. Phys. J. E, 23 25, (2007)
C. Bohley, R. Stannarius
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Field-induced texture transitions in a bent-core nematic liquid crystal. Phys. Rev. E, 76 061704, (2007)
R. Stannarius, A. Eremin, M.-G. Tamba, G. Pelzl, W. Weissflog
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Ambidextrous bend patterns in free-standing polar smectic-CPF films. Phys. Rev. E, 78 061705, (2008)
A. Eremin, A. Nemeş, R. Stannarius, W. Weissflog.
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Inclusions in free standing smectic liquid crystal films. Soft Matter, 4 683, (2008)
C. Bohley, R. Stannarius
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Multistage polar switching in bent-core mesogens. Eur. Phys. J. E, 25 395, (2008)
S. Findeisen, Martin W. Schröder, G. Pelzl, U. Baumeister, W. Weissflog, S. Stern, A. Nemeş, R. Stannarius, A. Eremin
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Corona patterns around inclusions in freely suspended smectic films. Eur. Phys. J. E, 28 265, (2009)
K. Harth, R. Stannarius