Kognitive Einzelfallanalyse bei Schwierigkeiten des Lese- und Schreiberwerbs
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In dem Projekt wurden 35 deutschsprachige Drittklässler mit Lese- und Schreibschwierigkeiten daraufhin untersucht, ob Hinweise auf die Unterscheidbarkeit eines oberfiachendysgraphischen und eines phonologisch-dysgraphischen Subtyps gefunden werden konnten. Hierzu wurden die individuellen Leistungen der Kinder beim Schreiben und Lesen von Neologismen und irregulären Wörtern mit den entsprechenden Leistungen von zwei schriftsprachlich unauffälligen Kontrollgruppen verglichen, wobei sich die eine Kontrollgruppe (n=28) aus gleichaltrigen Kindern mit gleicher Beschulungsdauer wie die dysgraphischen Kinder zusammensetzte und die zweite Gruppe (n=30) aus Zweitklässlern mit um ein Jahr geringerer Beschulungsdauer. Bezüglich der Schreibleistung zeigten sich folgende Leistungsmuster: Von den 35 dysgraphischen Kindern konnten insgesamt 21 (60%) einem der beiden Subtypen zugeordnet werden, wobei neun (43%) ein oberflächendysgraphisches Leistungsmuster aufwiesen und zwölf ein phonologisch dysgraphisches. Weiterhin wurden mit allen Kindern neun verschiedene Aufgabenstellungen zur phonologischen und zur visuell-graphematischen Verarbeitung durchgeführt, um zu überprüfen, ob die angenommenen dysgraphischen Subgruppen im Hinblick auf für das Schreiben grundlegende kognitive Verarbeitungsleistungen als unterschiedlich bzw. intern als homogen charakterisiert werden konnten. Die phonologisch dysgraphischen Kinder unterschieden sich von den oberfiachendysgraphischen besonders durch schwerere Beeinträchtigungen verschiedener Aspekte der phonologischen Verarbeitung. In den Aufgaben zum visuell-graphematischen Verarbeiten lagen in beiden Subgruppen ebenfalls signifikante Defizite im Vergleich mit beiden Kontrollgruppen vor. Außerdem zeigten sich innerhalb beider dysgraphischer Subgruppen qualitative Unterschiede zwischen den individuellen Leistungsprofilen, die als Hinweis auf variable Verursachungsmechanismen von Entwicklungsdysgraphie gedeutet wurden. Bezüglich der Analyse der Leseleistungsmuster, die zurzeit noch andauert, können bisher zusammenfassend folgende Ergebnisse berichtet werden. Bei lediglich fünf Kindern der Experimentalruppe (14,3%) zeigte sich ein phonologisch dyslektisches Leseleistungsmuster wohingegen 17 Kinder (48,6%) eine Oberflächendyslexie aufwiesen. Die komplementäre Häufigkeitsverteilung der beiden Subtypen beim Lesen und Schreiben könnte dadurch erklärbar sein, dass das Deutsche in Bezug auf die Phonem-Graphem-Korrespondenz, d.h. für das Schreiben eine geringere Transparenz aufweist als für das Lesen. Allerdings war bei fünf Kindern ein oberflSchendysgraphisches Schreibleistungsmuster mit einem oberflächendyslektischen Leseleistungsmuster assoziiert und bei einem Kind tag sogar eine phonologisch-dyslektische Leseleistung zusammen mit einer oberfiachendysgraphischen Schreibleistung vor, so dass auch bezüglich der Modalitätsspeztfität der beobachteten Lese- und Schreibleistungsmuster die individuellen Verursachungsmechanismen durch Einzelfallanalysen weiter aufgeklärt werden müssen.