Die Verarbeitung des grammatischen Genus in Erst- und Fremdsprache
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Zentrum des Projekts stand die Frage, wie das grammatische Genus in der Muttersprache (Ll) und in einer Fremdsprache (L2) aktiviert wird und inwieweit diese Prozesse interagieren. Dabei haben wir zwischen intra- und /H/eHingualer Interferenz unterschieden. Mit intralingualer Interferenz sind die Prozesse gemeint, die innerhalb einer Sprache stattfinden, wie beispielsweise der Einfluss der phonologischen Form auf die Selektion des Genus. Unter interlingualer Interferenz ist zu verstehen, inwieweit zwei Lemmas verschiedener Sprachen, die sich auf dasselbe Konzept beziehen, identisches oder verschiedenes grammatisches Genus haben und ob das Konsequenzen für die Genusselektion in der L2 hat. Die untersuchten Sprachen waren Deutsch, Tschechisch und Englisch. Zunächst konnten wir den Genuskongruenz-Effekt im Tschechischen replizieren und die spezifischen strukturellen Merkmale dieser slawischen Sprache nutzen, um den Details der Genusverarbeitung nachzugehen. Bei der gleichzeitigen Aktivierung von zwei Lemmas kann ein entsprechendes Nomen schneller produziert werden, wenn die Lemmas genuskongruent sind als wenn sie genus inkongruent sind. Dies gilt auch dann, wenn das Genus durch ein gebundenes Morphem markiert wird, wozu kontroverse Befunde in der Literatur vorliegen. Auch im Deutschen konnten wir den Genuskongruenz-Effekt bei gebundenen Morphemen replizieren, allerdings war dieser deutlich weniger stabil als im Tschechischen. Die genaueren Gründe dafür konnten wir aus Zeitgründen nicht aufdecken. In einer weiteren Serie von Experimenten sind wir der Frage nachgegangen, ob Faktoren auf der Wortform-Ebene (hier: die Wortendung) bei der Genusselektion eine Rolle spielen. Dabei ergab sich ein klarer Unterschied zwischen Ll und L2. In der Muttersprache hatte die Wortendung keinen Einfluss auf die Genusselektion, obwohl es auch im Deutschen deutliche Korrelationen gibt (beispielsweise sind die meisten femininen Wörter, die auf -e enden, feminin). Dies ist vermutlich auf die hohe Automatisierung der Genusselektion in der Ll zurückzufuhren. In der Fremdsprache dagegen (L2 Deutsch, Ll Englisch) ließ sich ein klarer Effekt der Wortform nachweisen. Die Genusselektion wurde hier eindeutig durch eine für dieses Genus typische Wortendung erleichtert. In mehreren Experimenten haben wir uns mit der allgemeinen Frage beschäftigt, ob sich Kongruenz zwischen Ll- und L2-Lemmas auf die Selektion des grammatischen Genus in einer Fremdsprache auswirkt. Die Antwort ist eindeutig positiv. Kongruenz erleichtert die Genusselektion. Wir konnten diesen Effekt mehrfach bei der Wortproduktion (Bildbenennung) nachweisen, allerdings nicht beim Übersetzen. Dieser Unterschied lässt sich durch den Zeitverlauf der Aktivierung der Ll- und L2-Lemmas erklären. Während diese bei der konzeptuell gesteuerten Wortproduktion gleichzeitig verläuft (und es folglich zur Konkurrenz der Lemmas kommen kann), findet sie beim Übersetzen zeitversetzt statt. Schließlich haben wir Kongruenzeffekte analog zum grammatischen Genus sowohl für Deklinations- als auch für Konjugationsklassen im Tschechischen nachgewiesen. Dies ist zum einen bedeutsam, weil wir die Kongruenz-Effekte grammatischer Merkmale damit auf eine allgemeinere Grundlage stellen konnten. Zum anderen wurden dabei auch wichtige Unterschiede zwischen den einzelnen grammatischen Merkmalen deutlich, die dadurch erklärbar werden, dass man externe und interne Merkmale unterscheidet. Externe Merkmale stellen Information zur Verfügung, die nicht an ein spezifisches Lemma gebunden sind, was dagegen für interne Merkmale gilt. Unterschiede zwischen den Kongruenzeffekten für die verschiedenen grammatischen Merkmale lassen sich dann darauf zurückführen, dass sie vor oder erst mit der Lemmaaktivierung zur Verfugung stehen. Frühere externe Merkmale können damit die Aktivierung interner Merkmale steuern.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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13th International Morphology Meeting (Workshop: Acquisition and Processing of Morphology). Vienna, Austria, February 3-6, 2008 Presentation: Processing of grammatical features of nouns and verbs in Czech
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3rd International Conference of the German Cognitive Linguistics Association (GCLA- 08/DGKL-08). Leipzig, Germany, September 25 - 27, 2008. Presentation: Encoding of grammatical gender and declensional class: Evidence from the picture - word interference paradigm
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Bordag, D. & Pechmann, Th. (2007). Factors influencing L2 gender processing. Bilingualism: Language and Cognition, 10 (3), 299-314.
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Bordag, D. & Pechmann, Th. (2008). Grammatical gender in speech production: Evidence from Czech. Journal of Psycholinguistic Research, 37 (2), 69-85.
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Bordag, D. & Pechmann, Th. (2008). Grammatical gender in translation. Second Language Research, 24(2), 139-166,
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Bordag, D. (2008). Psycholinguistic aspects of grammatical gender production in second language Czech. In G. Zybatow, D. Fehrmann, U. Junghans, R. Meyer & L. Szucsich (Hrsg.), Formal Description of Slavic Languages: The Fifth Conference, Leipzig 2003, (pp. 171-180). Peter Lang: Frankfurt am Main.
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Bordag, D., Opitz, A., & Pechmann, Th. (2006) Gender processing in first and second languages: The role of noun termination. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 32, 1090-1101.
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European Second Language Association's Fifteenth Annual International Conference (EUROSLA). Dubrovnik, Croatia, September 14-17, 2005. Presentation: The influence of phonological form on LI and L2 gender production
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Sprache interdisziplinär - Interdisciplinary Perspectives in Leipzig Language Research. Jahrestagung des Zentrums fur Kognitionswissenschaft der Universität Leipzig. Leipzig, Germany, November 15, 2007. Presentation: Externality, internality, and (in)dispensability of noun features in speech production