Integrierte Bewegungsmessung an flexiblen Strukturen: Modaleinflüsse und experimentelle Verifikation
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Integrierte Navigationssysteme werden traditionell zur Ermittlung des Bewegungszustandes für Fahrzeuge eingesetzt, die dabei jeweils als einzelner, kompakter, starrer Körper anzusehen sind. Solche Systeme kombinieren typischerweise Signale von Inertialsensoren (Beschleunigungsmesser, Kreisel) und Satellitensystemen wie beispielsweise GPS. Die Grundidee integrierter Systeme ist dabei die Kombination verschiedener Messsignale unterschiedlicher physikalischer Bedeutung mit der Absicht, die Vorteile ungleicher, komplementärer Sensoren zu kombinieren und eventuelle Nachteile zu kompensieren. Damit lässt sich dann eine sehr leistungsfähige „integrierte Bewegungsmessung“ des bewegten Fahrzeugs – oder allgemeiner der bewegten mechanischen Struktur – erzielen. Die Annahme eines einzelnen starren Körpers, die den traditionellen integrierten Navigationssystemen zugrunde liegt, ist für kleine Fahrzeuge angemessen. Betrachtet man allerdings Konstruktionen wie Großraumflugzeuge (z.B. Airbus A340), Raumstationen, Mobilroboter oder auch stationäre Bauwerke wie Hochhäuser, so ist hier die Annahme einer starren Struktur nicht mehr erfüllt. Berücksichtigt man andererseits neben der Größe die Formänderung der Struktur, so lässt sich nicht nur die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit integrierter Navigationssysteme steigern, sondern es ergeben sich neue Anwendungsgebiete für die gewonnenen Bewegungsinformationen, und zwar neben der üblichen Fahrzeugführung nun auch die Möglichkeit einer Strukturregelung und/oder -überwachung. Zur Erfassung der Flexibilität der Struktur müssen die Sensoren freilich nun über die Fahrzeugstruktur verteilt werden. Zur Gewinnung, d.h. Schätzung der Bewegungsinformationen bei derartigen integrierten Systemen werden weiter spezielle Filter verwendet, die die Signale der einzelnen, komplementären Sensoren zusammenführen („Datenfusion“). Hierzu ist ein individuelles kinematisches Modell der bewegten Struktur erforderlich, das der Interpretation aller Messdaten dient. In vorangehenden Arbeiten konnte die Realisierbarkeit solcher integrierter Bewegungsmesssysteme für mechanische Strukturen mit variabler Form bzw. Gestalt anhand starrer Mehrkörpersysteme bereits theoretisch und experimentell gezeigt werden. In dieser Arbeit wurde der Nachweis erbracht, dass sich die hier zugrunde liegende Theorie auf flexible, kontinuierlich massebelegte Strukturen ausdehnen lässt, wobei dominante Verformungen ermittelt und summarisch überlagert werden. Hierzu wurde speziell zunächst die Bewegung eines vertikal aufgehängten flexiblen, d.h. elastischen Balkens mit Hilfe eines Finite-Elemente-Programms detailliert simulationstechnisch nachgebildet. Der Balken war hierbei an seinem oberen Ende frei drehbar an einem Schlitten befestigt, der wiederum über eine Feder mit einer festen Wand verbunden wurde. Die Dimensionen des Balkens wurden so gewählt, dass die tiefste Frequenz aller Biegeschwingungen der eines großen Flugzeugflügels entspricht. Die Struktur wurde zum Schwingen angeregt und Messdaten, die fiktive, an der Struktur befestigte Sensoren ausgeben würden, berechnet sowie anschließend verfälscht, um eine realitätsnahe Messaufnahme nachzubilden. Dabei berücksichtigte, typische Sensoren für integrierte Bewegungsmesssysteme waren zum einen Inertialsensoren, also Beschleunigungsmesser und Kreisel. Als dazu komplementäre, so genannte Stützsensoren wurden zum zweiten Laser- oder Radarsensoren zur Entfernungs- und Geschwindigkeitsmessung relativ zur festen Wand verwendet. Ergänzt wurden die Stützsensoren durch Dehnungsmessstreifen auf dem Balken. Diese eignen sich speziell dafür, die Schätzung dominanter elastischer Verformungen sicherzustellen. Im Rahmen der Untersuchungen wurden weiter verschiedene Sensorkonfigurationen betrachtet, um Anhaltspunkte zu gewinnen, welche Kombinationen von Sensoren die besten Bewegungsschätzungen erzielen. Bei der Auswahl der Sensoren war dafür Sorge zu tragen, dass alle relevanten Bewegungsanteile auch beobachtbar, d.h. schätzbar, sind. Dies wurde für die einzelnen Konfigurationen mit einer nichtlinearen Beobachtbarkeitsanalyse sichergestellt. Auch die für die Beobachtbarkeit wesentliche Positionierung der Sensoren floss dabei ein. In einem ersten Ansatz zur Positionierung wurden hierzu die dominanten Strukturverformungen bestimmt und dann darauf geachtet, dass die Platzierung der Sensoren an Stellen erfolgte, die einen hohen relevanten Bewegungsanteil aufwiesen (beispielsweise wurden Beschleunigungsmesser und Abstandsmesser deshalb nicht in die Nähe von Schwingungsknoten gesetzt). Optimierungsrechnungen zur Verbesserung dieser Positionierung schlossen sich an. Neben der Auswahl und Positionierung der Sensoren ist das bereits erwähnte kinematische Modell wesentlicher Bestandteil des Datenfusionsfilters. Die Grundlage zur Beschreibung der flexiblen, zeitvariablen Gestalt im kinematischen Modell bildet dazu die summarische Überlagerung mehrer ortsabhängiger so genannter Einheitsverformungen, die jeweils die Form eines einzelnen dominanten Verformungsanteils nachbilden. Die Einheitsverformungen wiederum werden vor der Aufsummierung jeweils mit einer zugeordneten zeitabhängigen Deformationsvariablen multipliziert. Damit wird die zeitvariable Ausprägung eines jeden dieser Verformungsanteile berücksichtigt. Die Einheitsverformungen wurden in einem ersten Ansatz als die niederfrequenten Schwingungsmoden der betrachteten elastischen Struktur interpretiert. In einem zweiten Versuch wurden Einheitsverformungen aus einem Krylov-Unterraumansatz generiert, der die Schwingungsübertragung der Struktur von den Orten der Inertialsensoren auf die Orte der Stützsensoren annähert. Als dritte Möglichkeit kam das Modellreduktionsverfahren der Balancierten Realisierung zum Einsatz. Schließlich wurden, wenngleich mit dem geringsten Erfolg, Einheitsverformungen ausprobiert, die Ansatzfunktionen bei Finiten Balkenelementen entsprechen. Die besten Bewegungsschätzergebnisse erbrachten das erste und das dritte Verfahren. Resultate zweier betreuter experimenteller Studienarbeiten liegen vor, die verschiedene Varianten des flexiblen Balkens untersuchten und simulierte Bewegungsschätzungen versuchstechnisch verifizierten. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der Theorie ist so durch die simulierten und experimentellen Ergebnisse nachgewiesen worden. Weiterführende Untersuchungen sollen einzelne Aspekte der durchgeführten Arbeiten vertiefen und die Anwendungsbreite der integrierten Bewegungsmessung vergrößern: - Aufbau eines Großversuchs zur Verifizierung praktisch erreichbarer Schätzgenauigkeiten. - Betrachtung zweidimensionaler Kontinua wie Platten oder Schalenelemente sowie dreidimensionaler Kontinua wie Fachwerke. - Vertiefte Quantifizierung des Einflusses der Sensorpositionierung auf die Qualität der Bewegungsschätzung. Hierauf aufbauend ggf. Durchführung von Optimierungsrechnungen zur Verbesserung der Sensorpositionierung mit dem Ziel der Zurückdrängung des Einflusses nicht berücksichtigter Schwingungsmoden (d.h. Verbesserung der Schätzgüte). - Ersatz des bisher üblichen Kalman-Filters als Signalfusionsverfahren durch Filter mit geringerem Rechenaufwand. Hiermit Erhöhung der berücksichtigungsfähigen mechanischen Freiheitsgrade, und zwar ebenfalls mit dem Ziel einer Verbesserung der Schätzgüte.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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4th IFAC-Symposium on Mechatronic Systems, Universität Heidelberg (13.09.2006): Integrated Motion Measurement of Multibody Systems and Flexible Vehicle Structures
J. Wagner
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GAMM-Jahrestagung 2006, TU Berlin (29.03.2006): Integrated Motional Measurement for a Flexible Structure
Th. Örtel
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Integrated Motion Measurement of Multibody Systems and Flexible Vehicle Structures. In: Mechatronics 2006, Preprints of the 4th IFAC-Symposium on Mechatronic Systems (Heidelberg, September 12-14, 2006). Heidelberg: International Federation of Automatic Control, 2006, S. 537-542
Wagner, J.; Örtel, T.
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Integrated Motional Measurement for a Flexible Structure. In: Proceedings in Applied Mathematics and Mechanics: PAMM 6 (2006), S. 829-830
Örtel, T.; Wagner, J.
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2nd International Symposium on Design, Modelling and Experiments of Adaptive Structures and Smart Systems, DeMEASS II, Bad Herrenalb (15.10.2007): Integrated Motion Measurement System for Flexible Structures
Th. Örtel
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6th International Workshop Structural Health Monitoring 2007, Stanford University, CA (13.09.2007): Generalizing Integrated Navigation Systems for Structural Health Monitoring
J. Wagner
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Generalizing Integrated Navigation Systems for Structural Health Monitoring. In: Chang, F.-K. (Hrsg.): Structural Health Monitoring 2007. Lancaster, PA: Destech Publications, 2007, S. 1245-1254
Wagner, J.; Örtel, T.
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ICIAM07 / GAMM-Jahrestagung 2007, ETH Zürich (20.07.2007): Integrated measurement system using accelerometers and gyros as peripheral sensors to estimate the motional state of an elastic beam
Th. Örtel
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Integrated measurement system using accelerometers and gyros as peripheral sensors to estimate the motional state of an elastic beam. In: Proceedings in Applied Mathematics and Mechanics: PAMM 7 (2007), S. 4130001-4130002
Örtel, T.; Wagner, J.
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Integrated Motion Measurement for Flexible Structures. In: Technische Mechanik 27 (2007), Nr. 2, S. 94-114
Örtel, T.; Wagner, J.
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9th International Conference on Motion and Vibration Control, MOVIC 2008, TU München (18.09.2008): Model Reduction Approaches for Integrated Motion Measurement Systems Applied to Flexible Structures
Th. Örtel
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Accelerometers Versa Gyros in Integrated Navigation Systems for Flexible Vehicles. In: Proceedings of the ION 2008 National Technical Meeting (San Diego, CA, January 28- 30, 2008). Fairfax, VA: The Institute of Navigation, 2008, S. 689-698
Wagner, J.; Örtel, T.
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ION 2008 National Technical Meeting, San Diego, CA (29.01.2008): Accelerometers Versa Gyros in Integrated Navigation Systems for Flexible Vehicles
J. Wagner
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Model Reduction Approaches for Integrated Motion Measurement Systems Applied to Flexible Structures. In: Ulbrich, H.; Ginzinger, L. (Hrsg.): MOVIC 2008, Preprints of the 9th International Conference on Motion and Vibration Control (München, September 15-18, 2008). München: Technische Universität, 2008, S. 1107.1-1107.10
Örtel, T.; Wagner, J.
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Integrated Motion Measurement for Flexible Structures using a Modal and Krylov Subspace Model Reduction Approach. In: Journal of Intelligent Material Systems and Structures 20 (2009), Nr. 15, S. 1889-1898
Örtel, T.; Wagner, J.