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Die Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft von den 1920er bis in die 1970er Jahre. hier: Enzyme, Hormone, Vitamine. Eine Geschichte der Wirkstoffe im Spiegel der DFG-geförderten Projekte, 1920-1970

Fachliche Zuordnung Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2004 bis 2008
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5438260
 
Erstellungsjahr 2012

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Wenn auch die Etablierung der Hormone, Vitamine und Enzyme in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Internationales Ereignis darstellte, verweist deren Kollektivierung im nur in Deutschland gebräuchlichen Konzept der Wirkstoffe doch auf eine Problemstellung, die erklärungsbedürftig erscheint. Die Geschichte der Wirkstoffe ist die der Institutionalisierung, Standardisierung, Aktivierung und Prekarisierung leistungsstarker, in kleinsten Mengen wirksamer, in Bezug auf die Behebung von Mangelzuständen, Mangelsituationen und Mangelkrankheiten etablierter chemischer Agentien zur biologischen Regulierung leistungsfähiger Körper. Der DFG kam die Funktion zu, diese zwischen Wissenschaft und Industrie ablaufenden Prozesse zu modulieren. Wirkstoffe, das waren unsichtbare, nicht filtrierbare, für das Funktionieren des Organismus jedoch unerlässliche Agentien. Sie steuerten auf spezifische Weise chemische Prozesse und garantierten die Integrität des Körpers durch die Regulierung des Stoffwechsels und der Funktionen von Geweben und Zellen. Die Geschichte der Wirkstoffe ist dabei auch ein Exempel dafür, wie soziale Probleme hergestellt und in Potenziale technowissenschaftlicher Lösungsmöglichkelten übersetzt werden. Im Laufe des biotechnologischen 20. Jahrhunderts erodierten zusehends die Unterschiede zwischen Gesundheit und Krankheit sowie Wirkstoff und Arzneimittel. Als pharmakologische Präparate besetzten die industriell produzierten Wirkstoffe erfolgreich einen Markt für präventive und optimierende Mittel. Die Standardisierung und Aktivierung der Wirkstoffe wurde zu einer staatsnotwendigen Aufgabe, zu einer wissenschaftlichen Herausforderung, zu einem pharmaindustriellen Geschäft, die nur durch die vermittelnde und übersetzende Funktion der DFG möglich wurde. Die Kompetenz der unsichtbaren Wirkstoffe, in einer experimentellen Situation erstaunliche Leistungen zu vollziehen, machte diese jedoch zugleich auch verdächtig, auf eigenwillige Weise unerwünschte Reaktionen hevorzurufen. Dem Versprechen des über Wirkstoffe gesteuerten und steuerbaren Körpers korrespondierte der Schrecken des fehlgelenkten Organismus, die Prekarisierung der Wirkstoffe durch ihre toxischen und cancerogenen Effekte. Die Institutionalisierung und Standardisierung von Hormonen und Vitaminen vollzog sich als enge Vernetzung verschiedener wissenschaftlicher, industrieller und auch staatlicher Akteure. Für die Geschichte der Wirkstoffe sind die engen Verbindungen von Chemikern wie Adolf Butenandt, Richard Kuhn und Adolf Windaus zu pharmaindustriellen Unternehmen wie Bayer, Merck oder Schering von zentraler Bedeutung. Diese Kooperation steht jedoch in einem Widerspruch zur Epistemologie der reinen wissenschaftlichen Erkenntnis. Dieser Widerspruch zwischen einer Praxis der Assoziierungen und einer Epistemologie der reinen Naturerkenntnis wurde durch die Institution der Forschungsförderung vermittelt. Diese erst garantierte die Zusammenarbeit von Industrie, Staat und Wissenschaft, ohne dass dabei die Interessen der jeweiligen Akteure geschwächt würden. In diesem Sinne verbindet sich die Geschichte der DFG mit der Geschichte der Wirkstoffe. Die DFG sicherte Wissenschaftlichkeit, um zugleich mittels Gutachten und Schwerpunktsetzungen Forschungsfragen zu selektieren. Im Nationalsozialismus wurden entsprechend durch die intensivierte Arbeit an und mit den Wirkstoffen zahllose Karrieren von Biochemikern, Gynäkologen, Ernährungsforschern und Lebensmittelchemikern ermöglicht. Eben diese Wissenschaftler, die an der Aktivierung von Molekülen in einem Gefüge von Notständen arbeiteten, kontrollierten wiederum im Rahmen von DFG-Senatskommissionen, die Ende der 1940er Jahre zur Regulierung von sogenannten Fremdstoffen in Lebensmitteln eingerichtet wurden, die Existenz der Wirkstoffe als prekäre Stoffe. In diesem Zusammenhang wurde das Konzept der Wirkstoffe als in geringster Menge biologisch wirkende Substanzen wieder in der Reichhaltigkeit stofflicher Reaktionen aufgehoben, der utopische Charakter auf spekulative Vitalstoffe und der prekäre Gehalt auf die Klasse der Fremdstoffe übertragen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • „Eine Geschichte der Dinge und eine dingliche Geschichte des Menschen. Methodische Probleme". In: Christina Brandt/Florence Vienne (Hg.), Wissensobjekt Mensch. Humanwissenschaftliche Praktiken im 20. Jahrhundert. Berlin: Kadmos, 2008, S. 43-65
    Heiko Stoff
  • „Vitaminisierung und Vitaminbestimmung: Ernährungsphysiologische Forschung im Nationalsozialismus". In: Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften 32 (2008), S. 59-93
    Heiko Stoff
  • „'Dann schon lieber Lebertran' - Staatliche Rachitisprophylaxe und das wohl entwickelte Kind". In: Nicholas Eschenbruch/Viola Balz/Ulrike Klöppel (Hg.), Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. 13 historische Skizzen von Lebertran bis Contergan. Bielefeld: transcript, 2009, S. 53-76
    Heiko Stoff
  • „Enzyme. Hormone, Vitamine. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Wirkstoffforschung 1920-1970". In: Karin Orth/Willi Oberkrome (Hg.), Die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1920-1970. Forschungsförderung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik Stuttgart: Steiner, 2010, S. 325-340
    Heiko Stoff
  • „Wirkstoffe als Regulatoren des Leistungsgetriebes, 1889-1950". In: Volker Koesling/Florian Schulke (Hg.), Pillen und Pipetten - Wie Chemie und Pharmazie unser Leben bestimmen. Leipzig: Koehler & Amelang, 2010, S. 118-139
    Heiko Stoff
 
 

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