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Die arabischen Intellektuellen und der Holocaust: Zur Epistemologie arabischer Diskurskultur
Antragsteller
Professor Dr. Dan Diner
Fachliche Zuordnung
Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung
Förderung von 2005 bis 2010
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 5440084
Gegenstand des Projekts ist es, die für den arabischislamischen Raum signifikante Leugnung des Holocaust erkenntnistheoretisch zu deuten und zu erklären. „Erkenntnistheoretisch heißt, einen Ansatz der Wahrnehmungsgeschichte zu wählen, um die Leugnung historisch zu entschlüsseln. Dies soll in der räumlichen und intellektuellen Überschneidungszone jener beiden unterschiedlichen Erfahrungskontexte - des arabisch-islamischen und des europäischen - geschehen, genauer gesagt anhand ausgewählter Beispielen des französischen Diskurses der 1950er und 1960er Jahre. Das Verhältnis beider Erfahrungsräume zueinander kann mit Ernst Bloch als Dialektik einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beschrieben werden. Dabei soll das vorliegende Projekt der Holocaust- Leugnung arabischer Intellektueller von zwei Thesen ausgehend argumentieren: Erstens soll die verschobene gegenseitige Wahrnehmung gedächtnisgeschichtlich analysiert werden, wobei der Fokus der Betrachtung auf den zweiten Weltkrieg gesetzt wird. Im Zentrum des Gedächtniskanons der europäischen Kultursphäre meißelte sich der Holocaust als neues Gründungsdatum eines durch den Nationalsozialismus von einem Zivilisationsbruch bedrohten Europas ein. Dagegen dominierte bei den arabischen Völkern die koloniale Erfahrung im Zentrum der kollektiven Erinnerung. Die Kollision beider Gedächtnisse, so die erste These, wirkt im arabischen Raum als ein Erinnerungsknoten und blockiert die Anerkennung des Holocaust aufgrund seiner Wahrnehmung als einer konkurrierenden Leidenserfahrung. Zweitens beruht die Leugnung des Holocaust auf einem gleichsam , erfahrungszivilisatorischen Fundament . Es stehen sich eine sakrale und eins profane Interpretationstradition gegenüber, die den arabisch-islamischen bzw. den europäisch-westlichen Kulturraum prägen. Im Vergleich zu anderen Katastrophen schöpft sich der Einzigartigkeitscharakter des Holocaust in der europäischen Sphäre aus einer Geschichtswahrnehmung, die die Vernichtung des europäischen Judentums als eine Negation der Aufklärungstradition interpretiert. Dies zu verinnerlichen setzt die Anerkennung und Geltung der Aufklärung voraus. Das Forschungsprojekt möchte zeigen, dass in einer sakralen Sphäre wie der arabischislamischen keine profanen Ereignisse als einzigartig angedeutet werden können. Daher bleibt die Rezeption des Holocaust durch die arabische Intellektualität in einem besonderen Maße eingeschränkt, gleichsam „blockiert oder sogar in Abrede gestellt.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen