Computersimulation und Management von Fußgängerströmen bei besonderen Belastungen und kritischen Bedingungen anhand von konkreten Beispielen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Simulation von größeren Fußgängerströmen und Menschenansammlungen ist für eine prospektive Sicherheitsbewertung von Fußgängeranlagen und Fußgängerräumen von großer Bedeutung. Die Güte einer Simulation ist dabei im entscheidenden Maß davon abhängig, inwieweit das der Simulation zugrunde liegende Modell in der Lage ist, menschliche Besonderheiten und Charakteristika adäquat zu berücksichtigen. Um Fußgängerverhalten in größeren Menschenansammlungen erklären und vorhersagen zu können, ist es notwendig zu beachten, dass dieses Verhalten ein Ergebnis von Entscheidungs- und Wahrnehmungsprozessen darstellt, die eng mit physiologischen und emotionalen Zuständen des Individuums verknüpft sind, dass das Verhalten durch diese moduliert wird und in hochgradig sozialen Situationen eingebettet stattfindet. Damit Simulationen den menschlichen Charakteristika in noch stärkerem Maße gerecht werden, ist es weiter notwendig, die Heterogenität menschlichen Verhaltens unter verschiedenen Bedingungen zu analysieren. Dadurch kann ein Beitrag geleistet werden, die Modellierung auf der Basis dieser Ergebnisse aus psychologischer Sicht zu ergänzen und zu unterstützen. Ziel war es daher, eine Grundlage für ein Fußgängerverhaltensmodell zu schaffen, das psychologischen und gruppendynamischen Prozessen Rechnung trägt. Um das Verhalten in größeren Menschenmengen zu studieren, wurden Personen unter verschiedenen Bedingungen beim Verlassen eines Raumes beobachtet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Reaktion von Individuen auf potenzielle Bedrohungen stark von deren Zugehörigkeit zu vorher bestehenden Subgruppen innerhalb der Menschenansammlung determiniert ist. So zeigte sich ein sehr deutlicher Effekt in der Latenzzeit von Personen zum Verlassen des Raumes („time to start to move") fur die Gruppenzugehörigkeit. Weiter weisen die Ergebnisse daraufhin, dass verschiedene Persönlichkeitsmerkmale die Reaktion auf bedrohliche Ereignisse und damit das Verlassen von Räumen beeinflussen. So konnte gezeigt werden, dass Personen, die im stärkeren Maße in der Lage sind, negative Emotionen zu kontrollieren (handlungsorientierte) eine kürzere Latenzzeit benötigten, um sich in Richtung Ausgang zu bewegen. Hingegen zeigen Personen, die generell Schwierigkeiten mit der Kontrolle negativer Emotionen haben (lageorientierte), eine längere Latenzzeit, mehr gefahrenbezogene Kognitionen sowie eine höhere Beanspruchung. Ferner wurde gezeigt, dass die empfundene Angst in engem positivem Zusammenhang mit der erlebten Beanspruchung stand. Diese gefundenen Ergebnisse weisen daraufhin, dass sich kognitive Prozesse zur Bewältigung einer stressreichen Situation, wie dem Verlassen eines Raumes unter potentieller Bedrohung interindividuell unterscheiden: in Abhängigkeit von Persönlichkeitsmerkmalen der Akteure kann die Bewältigung negativer Emotionen mit einer erfolgreichen Lösung des Problems (Verlassen des Raumes) um begrenzte kognitive Ressourcen konkurrieren. Weiter zeigen extravertierte Personen ebenfalls eine längere Latenzzeit beim Verlassen eines Raumes als introvertierte Personen. Möglicherweise liegt diesem Effekt eine soziale Hemmung zugrunde, da für extravertierte Personen soziale Interaktion eine bedeutere Rolle spielt und damit auch der Einfluss sozialer Bewertung für diese Personengruppe stärker ausgeprägt ist. Weitere vorläufige Ergebnisse verweisen darauf, dass Personen in stressreichen Situation eher dominante bzw. überlernte Verhaltenstendenzen erkennen lassen als in stressarmen Situation. So wurden in stressreichen Situationen häufiger Ausgänge gewählt, die unmittelbar im Gesichtsfeld lagen. Weiterhin wurde die verhaltenslenkende Wirkung des unspezifischen Anregungsgehaltes von Umwelten als Möglichkeit zur Lenkung von Fußgängern untersucht. Der verhaltenslenkenden Wirkung des unspezifischen Anregungsgehaltes von Umwelten liegt die Hypothese zugrunde, dass menschliches Verhalten unter anderem durch die Suche nach einem subjektiv als optimal empfundenen Aktivierungsniveau bedingt ist. Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Menschen aktiv einen für sie optimalen Stimulationsgrad aufsuchen, der sich signifikant von zu hohen und zu niedrigen Stimulationsgraden unterscheidet. Gleichzeitig konnten wir zeigen, dass sich bei einem selbstgesuchten Aktivierungsniveau eine optimale Verfügbarkeit attentionaler Ressourcen einstellt. Es konnte ebenfalls gezeigt werden, dass sich das Verhalten von Fußgängern während eines Tunnelexperimentes mit zwei Tunnelarmen durch Variation der Helligkeit beeinflussen lässt. Überraschenderweise fanden wir, dass eindeutige Helligkeitsunterschiede nur die Wahl der rechten Seite unterstützen. Wählten wir kaum bzw. nicht wahrnehmbare Helligkeitsunterschiede, konnte das Verhalten in beide Richtungen beeinflusst werden. Die gewonnenen Ergebnisse sollen dazu dienen, ein Fußgängermodell zu schaffen, das psychologischen und gruppendynamischen Prozessen und damit in Verbindung Fußgängerverhalten unter verschiedenen Bedingungen gerecht wird. Aufbauend auf den bisherigen Ergebnissen soll weiterhin die Auftretenswahrscheinlichkeit unterschiedlicher Verhaltenstendenzen, wie u.a. Zögern, Drängeln, individuelles Neuorientieren in Abhängigkeit zur individuellen Charakteristik der Akteure analysiert werden. Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung eines adäquaten Fußgängermodells stellt die Analyse individueller Verhaltsweisen und deren Bedeutung für das Verhalten im makroskopischen Fokus (von Subgruppen bzw. der gesamten Menschenansammlung) und vice versa dar. Ferner soll das Fußgängermodell auf seine Umsetzung in eine rechnergestützte Simulation geprüft werden. Damit ist das Ziel verbunden, den Einfluss von Persönlichkeitsvariablen und die Besonderheiten menschlicher Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse in die Simulation von Normal- und Notfallsituationen innerhalb künstlicher Umgebungen einzubinden. Die auf unbewusste Verhaltenssteuerung abzielende Variation des Anregungsgehaltes der Umwelt könnte in weiteren Forschungsprojekten thematisiert werden. Stadionausgänge, Fußgängerpassagen etc. könnten mit adaptiver Beleuchtung oder auch Beschallung ausgestattet werden und so unbemerkt und daher nicht belastend zur Steuerung der Menschenmassen beitragen. Denkbare Folgeuntersuchungen könnten genau diesen Aspekt in realitätsnahen Situationen analysieren. Denkbar wären Langzeitmessungen an echten Fußgängerpassagen mit unterschiedlichen Beleuchtungsstärken, an Stadionausgängen mit unterschiedlichen Farben und Helligkeiten oder ähnliches. Der zu erwartende Vorteil einer Verhaltenssteuerung über die Variation des Anregungsgehaltes der Umwelt beim Management großer Fußgängerströme liegt in der Möglichkeit der präventiven und gleichzeitig subtilen Beeinflussbarkeit des Fußgängerverhaltens. Präventive und stressarme, kultur- und sprachunabhängige Verhaltenssteuerung könnte somit ermöglicht werden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2006). Guidance and behavior management for a safe and successful hajj. Scientific Journal of the Ministry of Municipal and Rural Affairs, Kingdom of Saudi Arabia, pp 41-48
Schlag, B., Rößger, L., Schade, J.
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(2006). Report Part 1: Place Management and Guidance. Awareness strategies and behaviour management for a safe and successful Hajj 1427H (2006). Report to Ministry of Municipal and Rural Affairs: Riyadh - Kingdom of Saudi Arabia
Schlag., B., Schade, J., Rößger, L.
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(2006). Report Part 2: Waiting time management. Awareness strategies and behaviour management for a safe and successful Hajj 1427H (2006). Report to Ministry of Municipal and Rural Affairs: Riyadh - Kingdom of Saudi Arabia
Rößger, L., Schlag, B., Schade, J.
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(2007). Einfluss von Beleuchtung und erwarteter Belohnung auf das Richtungswahlverhalten von Fußgängern. In K. F. Wender, S. Mecklenbräuer, G. D. Rey & T. Wehr (Hrsg.), Beiträge zur 49. Tagung experimentell arbeitender Psychologen. Lengerich: Pabst Science Publ.
Fischer, T., Rößger, L., & Schlag, B.