Neuronale Kodierung interauraler Zeitunterschiede bei Vögeln
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die räumliche Ortung von Reizen ist eine wichtige Aufgabe jedes Sinnessystems. Die Ortung von Schallreizen kann nur indirekt erfolgen, da das Sinnesorgan (die Cochlea), anders als z.B. die Retina des Auges, keine räumliche Repräsentation enthält. Wirbeltiere (einschl. des Menschen) nutzen zur Schallortung kleinste Unterschiede im zeitlichen Eintreffen und in der Intensität des Schalls an beiden Ohren aus, sog. interaurale Unterschiede. Interaurale Unterschiede werden im Gehirn durch Vergleich der Eingänge aus beiden Ohren ermittelt und zur Bildung von neuronalen Repräsentationen des akustischen Raums genutzt. Die einzelnen Schritte der neuronalen Verarbeitung sind v.a. für die Verarbeitung interauraler Zeitunterschiede gut bekannt. Wegweisende Arbeiten an der Schleiereule, einem nächtlichen Beutegreifer mit extrem guten Schallortungsfähigkeiten, haben hierzu wesentlich beigetragen. Neuere Arbeiten an kleinen Säugetieren haben jedoch Widersprüche zu dem an der Schleiereule etablierten Verarbeitungsmodell erbracht und zur Formulierung einer alternativen Hypothese geführt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung war postuliert worden, dass die Entscheidung zwischen den beiden alternativen Kodierungsstrategien von der Kopfgrösse abhängig sei. Kleine Tiere, denen aufgrund ihrer Kopfgrösse nur ein relativ kleiner Bereich von interauralen Zeitunterschieden zur Verfügung steht, sollten demnach mit einer anderen neuronalen Verarbeitung die beste Schallortung erzielen als grössere Tiere, wie z.B. der Mensch, die den physikalischen Vorteil eines grösseren Kopfes und damit grösserer interauraler Zeitunterschiede haben. Die Schleiereule wurde in diesem Modell als extremer Spezialfall und damit untypisch interpretiert. Diese Hypothese wurde hier an Hühnern überprüft. Hühner sind ein guter Testfall, da ihre Kopfgrösse ähnlich der kleinen Labor-Säugetiere ist, sie jedoch näher mit Eulen verwandt sind. Welchen Verarbeitungsmechanismus würde das Gehirn des Huhns verwenden, um interaurale Zeitunterschiede zur Schallortung zu bestimmen? Wir nutzten eine maßgeschneiderte, selbst entwickelte Kombination von extrazellulären elektrophysiologischen Ableitungen und gleichzeitiger anatomischer Markierung der Ableitstellen, um diese Frage zu beantworten. Die Antwort war eindeutig: Hühner zeigen, genau wie Schleiereulen, eine topografische Repräsentation von interauralen Zeitunterschieden. Auf jeder Seite des Hirnstamms war ungefähr die kontralaterale Hälfte des akustischen Raums entlang der mediolateralen anatomischen Achse des Nukleus laminaris abgebildet, ganz so wie das klassische Modell es fordert. Das Huhn nutzt somit einen Mechanismus, der bei seiner Kopfgrösse theoretisch ungeeignet sein sollte. Nach unserer Auffassung stellt dies eine Reihe von gängigen Annahmen infrage und hält die Diskussion über die zellulären Mechanismen von Schallortung offen. Eine richtige Überraschung gab es schliesslich im tieffrequenten Bereich des untersuchten Hirnstammgebiets. Wie die meisten auditorischen Gehirngebiete ist auch Nukleus laminaris tonotop organisiert, d.h. die Verarbeitung interauraler Zeitunterschiede erfolgt vielfach parallel, getrennt nach jeweils engen Frequenzbereichen. Die Neurone im tieffrequenten Bereich, unter etwa 400 Hz, wichen deutlich von allen Erwartungen bzgl. ihrer Selektivität ab und topografischen Anordnung ab und sind mit keinem bisherigen Modell erklärbar. Diese Daten sind allerdings noch etwas spärlich und daher vorläufig. Hier tun sich interessante Fragen und Wege für künftige Untersuchungen auf.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Carr CE, Köppl C (2007) Strategies for encoding ITD in the chicken nucleus laminaris. In: Hearing ¿ From Sensory Processing to Perception (Kollmeier B et al., eds), pp 417¿24. Berlin Heidelberg: Springer Verlag
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Köppl C, Carr CE (2005) Detection of interaural time differences in the chicken. Abstr 35th Annual Meetg Soc Neurosci., Washington, DC.
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Köppl C, Carr CE (2006) Encoding of interaural time differences in the Nucleus laminaris of the chicken. Abstr 29th Midwinter Res Meetg ARO
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Köppl C., "Wer Ohren hat zu hören ...", TUM Mitteilungen 4-2005