Einfluss transkranieller Magnetstimulation auf Falschaussagen in der Tathergangsdiagnostik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In diesem Antrag wurde erstmals durch die Kombination von tDCS mit fMRT und psychophysiologischen Messungen die Rolle von spezifischen kortikalen Regionen bei der Generierung von Falschaussagen untersucht. Hierzu wurde eine Serie von Experimenten durchgeführt, bei denen Probanden an einem Diebstahl-Rollenspiel teilnahmen und danach an eins bzw. an zwei Verhören mit dem Guilty-Knowledge-Test teilnahmen. Entscheidend bei unserem experimentellen Paradigma und im Gegensatz zu früheren Studien, konnten die Probanden selber entscheiden, welche Fragen sie wahrheitsgemäß und welche Fragen sie mit einer Lüge beantworten möchten. Um die Motivation der Probanden zu erhöhen, sich in die Rolle des Diebes zu versetzen, wurde ihnen gesagt, dass wenn der Versuchsleiter glaubt, dass sie unschuldig seien, könnten sie zusäztlich zu dem Probandengeld das gestohlene Geld tatsächlich behalten, andernfalls müßten sie das gestohlene Geld zurückgeben. Bei den fMRT Experimenten wurden die Verhöre direkt im Kernspinntomographen durchgeführt. Zur Klassifikation von wahren versus lügenhaften Aussagen wurden sogenannte Independent-Component-Analysen (ICA) sowie Support-Vector-Machine-Algorithmen (SVM) an den fMRT angewendet. Die Analysen weisen auf die Beteiligung von prefrontalen Regionen, dem Superior-temporalen Gyrus sowie von subkortialen Regionen im limbischen System. Da die bildgebenden Verfahren jedoch nur korrelative Aussagen über die Beteiligung von Hirnarealen an Verhaltensprozessen zulassen, untersuchten wir den Einfluss transkranieller Kortexstimulation auf lügenhaftem Verhalten. In einem Doppelblinddesign erhielten die Probanden während des Verhörs kathodale, anodale oder Placebo-tDCS. Neben der Lügenhäufigkeit und der Reaktionszeit beim Lügen wurde als Maß für geschicktes Lügen ein so genannter Lügenquotient (LQ) entwickelt, bei dem die Lügenhäufigkeit auf kritische Fragen (deren Antwort nur dem Täter bekannt ist) in Relation zur Lügenhäufigkeit auf unkritische Fragen gesetzt wird. Bemerkenswerterweise führte die Inhibition des aPFC nicht zu einer Beeinträchtigung sondern zu einer signifikanten Verbesserung des Lügenverhaltens. Dieser Effekt zeigte sich in höheren LQ, schnelleren Reaktionszeiten und geringeren Hautleitfähigkeitsreaktionen bei der Generierung von Lügen. Die Ergebnisse von Karim et al. (2009) zeigen erstmals, dass lügenhaftes Verhalten durch tDCS moduliert werden kann. Darüber hinaus liefern sie kausale Evidenz für die Beteiligung des aPFC am Lügenverhalten, die bislang nur anhand korrelativer Daten aus fMRT-Studien postuliert wurden. In einer weiteren Studie wurde untersucht, inwiefern psychopathische Persönlichkeitszüge den Einfluss transkranieller Gleichstromstimulation (tDCS) des aPFC auf lügenhaftes Verhalten und einhergehende psychophysiologische Korrelate modulieren können. Wie in der Studie von Karim et al. (2009) nahmen Probanden an einem Rollenspiel teil, bei dem sie Geld stahlen und danach an zwei Verhören mit dem Guilty-Knowledge-Test ihre Unschuld beweisen sollten. Zur Messung von psychopathischen Persönlichkeitszügen wurde die deutsche Version des Psychopathic Personality Inventory-Revised (PPI-R; Alpers u. Eisenbarth, 2008) verwendet. Bemerkenswerterweise war „Machiavellististischer Egoismus (ME)“ die einzige Skala, die mit der sympathischen Hautleitfähigkeitsreaktion beim Lügen signifikant korrelierte (r= -.375; P=.025). Zur weiteren Analyse trennten wir die Stichprobe anhand des Medians in Probanden mit hohem und niedrigem ME. Die Inhibition des aPFC während des Verhörs mittels tDCS führte zu einer signifikanten Verringerung der Schuldgefühlen und der sympathischen Hautleitfähigkeitsreaktion nur bei Probanden mit niedrigem ME. Bei Probanden mit hohem ME hatte die tDCS jedoch keinen Effekt. Die durchgeführten Studien liefern zentrale Erkenntnisse zum Verständnis der Neurobiologie von Lügen und moralischen Entscheidungen und der Pathophysiologie von psychopathischen Persönlichkeitszügen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2007). Evidence for a different role of the ventral and dorsal medial prefrontal cortex for social reactive aggression: An interactive fMRI study. NeuroImage 34 (2007) 470–478
Lotze M, Veit R, Anders S, Birbaumer N
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(2007). The neuroscience of immoral and moral behavior. MIND 8, Max Planck Institute for Brain Research, Frankfurt, Germany
Karim, A. A., & Schleim, S.
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2007. Transkranielle Kortexstimulation. In: Siebner HR, Ziemann U, editors. Das TMS-Buch. Heidelberg: Springer Medizin Verlag. p 555-565
Karim AA, Birbaumer N, Siebner HR
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(2008). Cathodal tDCS of the anterior prefrontal cortex improves deceptive behavior. 3rd International Conference on TMS and tDCS in Göttingen, Germany
Karim, A. A., Schneider, M., Veit, R., Braun, C. & Birbaumer, N.
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(2008). Neurobiologie des Lügens. Annual Meeting of the German Society for Psychiatry, Psychotherapy and Neurology (DGPPN) in Berlin, Germany
Karim AA.
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(2008). Neurobiologische Befunde beim Lügen. Bestand im Wandel: Stand und Perspektive neurobiologischer Ansätze in der forensischen Psychiatrie, Clinic for Forensic Psychiatry and Psychotherapy, University of Goettingen, Germany
Karim, A. A.
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(2009). "Theory of Mind" bei forensisch relevanten Störungen. In: Müller JL, editor. Neurobiologie forensisch-relevanter Störungen. Stuttgart: Kohlhammer
Krippl M, Karim AA
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(2009). Neurobiologische Befunde beim Lügen – Ethische und rechtliche Implikationen. In: Schleim S, Spranger TD, Walter H, editors. Von der Neuroethik zum Neurorecht? Göttingen: Vadenhoeck & Ruprecht Verlag. 149-163
Karim AA, Schneider M, Krippl M, Birbaumer N
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(2009). Zur Neurobiologie des Lügens. In: Mülller JL, editor. Neurobiologie forensisch-relevanter Störungen. Stuttgart: Kohlhammer
Karim AA, Schneider M, Birbaumer N
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(2010). Die Wahrheit über das Lügen: Neue Erkenntnisse aus der Gehirnforschung. Urania Lecture at the Einstein Hal, Urania, Berlin, Germany
Karim AA.
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(2010). The truth about lying: Inhibition of the anterior prefrontal cortex improves deceptive behavior. Cerebral Cortex 20(1): 205-213
Karim AA, Schneider M, Lotze M, Veit R, Sauseng P, Braun C, Birbaumer N
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(2010). Transcranial cortex stimulation as a novel approach for probing the neurobiology of dreams: Clinical and neuroethical implications. International Journal of dream research. 3(1): 17-20
Karim AA
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(2010). Transcranial cortex stimulation. Max Planck Institute for Psychiatry, Munich, Germany
Karim AA.
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(2011). Die Wahrheit über das Lügen: Neurophysiologische Prozesse und psychopathische Persönlichkeitszüge. Göttinger Tagung zur Empirischen Forschung in der forensischen Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, University of Göttingen
Karim AA.
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(2011). Real-time support vector classification and feedback of multiple emotional brain states. NeuroImage 56 (2011) 753–765
Sitaram R, Lee S, Ruiz S, Rana M, Veit R, Birbaumer N
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(2011). Theory of Mind und ihre neuronalen Korrelate bei forensisch relevanten Störungen. Nervenarzt. 82: 843-852
Krippl M & Karim AA