Historische Erforschung von Katastrophen in kulturvergleichender Perspektive
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des wissenschaftlichen Netzwerkes war die historische Untersuchung von Katastrophen in kulturvergleichender Perspektive. Die 12 Mitglieder des Netzwerkes sind mehrheitlich Historiker unterschiedlicher Epochen und Spezialisierungen sowie historisch arbeitende Wissenschaftler aus benachbarten Disziplinen (Orientalistik, Sinologie, Geographie). Mit Katastrophen stand ein Phänomen im Mittelpunkt des Austauschs, das gerade in jüngster Zeit verstärkte Aufmerksamkeit von gesellschafts- und kulturhistorischer Seite auf sich zieht. Fokussiert wurden Katastrophen, die im Zusammenhang mit geophysikalischen, meteorologischen und klimatischen Naturgefahren stehen (Erdbeben, Unwetter, Überschwemmungen, Stadtbrände, Hungerkrisen usw.). Die in drei Publikationen veröffentlichten Forschungsergebnisse des Netzwerks und seiner Gäste sprechen dafür, dass Katastrophen als formatives Element auf Gesellschaften und Kulturen einwirkten, die ihrerseits spezifische Modelle des – interpretativen, reaktiven und präventiven – Umgangs mit Katastrophen entwickelten (Stichwort: cultures of disaster). Im Sinne eines holistischen Ansatzes, der die Verwundbarkeit (vulnerability) von Kulturen und Gesellschaften als das Ergebnis komplexer, historisch induzierter Kausalzusammenhänge im Schnittpunkt von Natur und Kultur begreift, wurde der Blick auf kulturspezifische Modelle der Deutung, Bewältigung und Prävention von Katastrophen gerichtet. Durch die Thematisierung der Historizität von Katastrophen wurden also nicht nur deren destruktive, sondern auch konstruktive Auswirkungen beleuchtet, gerieten die Formen des Umgang mit Gefahren und Katastrophen gerade angesichts von Wiederholungserfahrungen und -erwartungen als Agenten kulturellen Wandels in den Mittelpunkt des Interesses. Katastrophen werden nicht nur, wie die jüngere Forschung betont, sozial und kulturell konstruiert, sondern sie wirkten ihrerseits in unterschiedlichem Ausmaß an der Konstruktion von Kulturen und Gesellschaften mit. Dabei spielten kulturell überformte und medial vermittelte individuelle und kollektive Erinnerungen an Katastrophen (memoria), spezifisches lokales Wissen (local knowledge), praktische Erfahrungen und theoriegeleitete Analysen eine in Zeit und Raum unterschiedliche, je nach Kultur und Gesellschaft einzigartige Rolle. Die Bandbreite untersuchter Epochen und Kulturen ermöglichte es, den Blick auch für aktuelle Probleme des Katastrophenmanagements zu schärfen. Lokales Wissen und bewährte Praktiken bleiben hier zum Schaden aller Beteiligten oft ungenutzt. Historisch forschende Wissenschaftler können durch die Rekonstruktion historischer Katastrophen folglich sogar einen Beitrag zum Verständnis aktueller Probleme und Chancen des Katastrophenmanagements leisten. Dies betrifft einerseits genauere Kenntnis von z.B. Gefahrenzonen (Überschwemmungen, Tsunamis, Erdbeben), vor allem aber genaueres Orientierungswissen über die Gründe für die Verwundbarkeit versus Widerstandfähigkeit von Gesellschaften gegenüber Naturgefahren, die aus soziokulturellen Spezifika der Wahrnehmung, Deutung und des auch politischen, wirtschaftlichen und (groß-)technischen Umgangs mit Katastrophen resultieren. Über die Netzwerkarbeit wurde mehrfach berichtet, so z.B.: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 215 vom 15.09.2006, S. 42 (Feuilleton, „Die Wetternachhersage“); Wissensmagazin „scinexx“ (http://www.g-o.de/wissen-aktuell-3837-2005-11-16.html); Westdeutscher Rundfunk 3, Sendung „Resonanzen“ von Lothar Fend (Ausstrahlung 18.3.2006, Autor Carl-Josef Kutzbach); Handelsblatt vom 24.5.2006 (Autor Jan-Dirk Herbermann: http://www.handelsblatt.com/technologie/forschung-medizin/geisteswisseschaften/katastrophenforschung-des-menschen-werk-und-gottes-beitrag/2658234.html).
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Coping with Natural Disasters in Pre-industrial Societies. The Medieval History Journal, vol. 10. 2007, no. 1-2 pp. 429-446.
Jürg Helbling
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Historical disaster research: state of research, concepts, methods and case studies/ Historische Katastrophenforschung: Begriffe, Konzepte und Fallbeispiele. Historical Social Research / Historische Sozialforschung, Vol. 32. 2007, No. 3(Sondernummer/ Special Issue), pp. 9-31.
Gerrit Jasper Schenk
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Historical Disasters in Context: Science, Religion, and Politics. (Routledge Studies in Cultural History, Vol. 15), New York/ London (Routledge) 2012, 295 Seiten.
Andrea Janku, Gerrit J. Schenk, Franz Mauelshagen