Tanz und Wissen. Eine kulturhistorische Studie der Episteme choreografierter Körper
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt Tanz und Wissen. Eine kulturhistorische Studie der Episteme choreografierter Körper hat im Hinblick auf die historische Konstellation des Bühnentanzes im 18. Jahrhundert die theatral-choreografische Ordnung des ballet en action als ein visuell affizierendes Repräsentationsgefüge kenntlich gemacht, das Körper und Bühne in einen energetisierenden Schauraum überstellt. Formiert als eigene bürgerliche Theatergattung liegt die kulturell-gesellschaftliche Funktion des ballet en action dahn, dem Bürgertum eine Konfiguration menschlicher Potentlalitäten vor Augen zu führen. Der choreografierte Körper übernimmt die theatrale Option, Affektionen erzielen zu können. Die kulturelle Bedeutung des Wissens im Tanz ist in dieser Option aufgehoben, gleichsam einen energetischen Akt der Kommunikation zu produzieren. Eingetreten in das epistemologische Feld der Anthropologie, kommt dem choreografierten Körper die theatrale Eigenschaft zu, einen Empfindungs- und Darstellungsprozess zu bilden, der auf die emotionale Grundverfassung des Menschen verweist. Ästhetisch wie geschichtsphilosophisch wird Tanz als anthropologische Praxis identifiziert. Die Theatralität des ballet en action operiert als >stumme< Übertragungskunst seelischer Regungen. Konzeptionell wie praxeologisch formiert sich ein theatraler Einsatz körperiicher Bewegungen, der die Körper in den Stand zu setzen sucht, etwas anderes zu erzeugen als bloß etwas zu »sehen« zu geben. Die Bühnenästhetik des ballet en action sucht ein Affekt-Geschehen als Handlungsgefüge aus Leidenschaftskonstellationen vor Augen zu führen und als Gefühlsraum wahrnehmbar zu machen. Die choreographisch-theatrale Ordnung muss dabei dreierlei gewährieisten: Nachvollziehbarkeit der Handlung, lllusionierung eines Geschehens als imaginativer Projektionsraum sowie wahrnehmbare Ein-Bildung von Empfindung an choreografierten Körpern. Die Repräsentation der Natur des Menschen, seiner leidenschaftlichen Regungen, operiert mit bildhaften wie transformatorischen Ordnungen von Körper und Bühne als interdependetes szenisches Sinngefüge kompositorischer Zeit-Räume des Empfindsamen. Deren theatraler Konnex ordnet choreografierte Körper als dynamische Agenten, bewegungsästhetisch in Bewegung versetzt und aufführungsästhetisch in Szene gesetzt. Diese Aufgabe übernehmen die Compositeure. Das visionierte Bühnenprojekt eines affizierenden commercium corporis et mentis verlangt eine Disposition von Körperbewegung als visuellen (illusionär/imaginativ) und energetischen Transgressionsraum (expressiv/dramatisch), womit für die Darstellungskunst des Tanzes eine konstitutive Verschränkung von Körper, Bild und Sprache im Raum des Empfindsamen angelegt wird. Dem Bühnentanz kommt das Phantasma unmittelbarer Verstehbarkeit zu, dem Prozesse der Energetisierung von Sinn eignen sollen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Der Tanz als Medium von Gefühlen. Eine historische Betrachtung. In: Margit Bischof, Claudia Rossiny, Claudia Feest-Lieberknecht: E_motion. Münster: lit-Verlag, 2006, S. 107-122
Sabine Huschka
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Wissensformen choreographierter Körper. Perspektiven und Annäherungen. In: tanzjournal (2006:5), S. 14-17
Sabine Huschka
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The paradox of techne. Perspectives on the ballet d'action. In: Proceedings Society of Dance History Scholars. Conference SDHS/Society of Dance History Scholars and CORD/Congress on Research in Dance. Centre National de la Danse, Paris, 21.-24 Juni 2007, S. 261-266
Sabine Huschka
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Wissen vom Tanzen: Carlo Blasis' Instruktionen zur Anmut. In: Oberzaucher-Schüller (Hg.): Souvernirs de Taglioni. Bühnentanz in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, Band II, Symposiumsbericht, München: Kieser Verlag 2007, S. 113-136
Sabine Huschka
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'Wenn die Leidenschaften zu Triebfedern werden'. Zum Tanzstil des ballet d'action. In: Matthias Rothe, Hartmut Schröder (Hg.): Stil, Stilbruch, Tabu. Stilerfahrung nach der Rhetorik. Eine Bilanz. Münster: LIT-Verlag 2008, S. 95-110
Sabine Huschka
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Die Darstellungsästhetik des ballet en action. Anmerkungen zum Disput zwischen Gasparo Angiolini und Jean Georges Noverre. In: Uwe Schlottermüller, Howard Weiner, Maria Richter (Hg.): Vom Schäferidyll zur Revolution. Europäische Tanzkultur im 18. Jahrhundert. Tagungsband des 2. Rothenfelser Tanzsymposions. Freiburg [Breisgau]: Fagisis, Musik- und Tanzedition 2008, S. 93-106
Sabine Huschka
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Episteme choreografierter Körper im ballet en action: Zum ästhetischen Widerstreit von techne und Einfühlung. In: Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Kulturen des Wissens im 18. Jahrhundert. Berlin, New York: Walter De Gruyter 2008, S. 655-662
Sabine Huschka
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Kompositorische Ordnungen der Affekte im ballet en action. Zur Wirkungsästhetik bei Jean Georges Noverre und Gasparo Angiolini. In: Jens Roselt/Clemens Risi (Hg.): Koordinaten der Leidenschaft. Berlin: Theater der Zeit 2009, S. 51-77
Sabine Huschka
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Prolog. In: Sabine Huschka (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen. Bielefeld: transcript 2009. S. 7-22
Sabine Huschka, Hartmut Böhme
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Szenisches Wissen im ballet en action. Der choreographierte Körper als Ensemble. In: Sabine Huschka (Hg.): Wissenskultur Tanz. Historische und zeitgenössische Vermittlungsakte zwischen Praktiken und Diskursen. Bielefeld: transcript 2009. Mit Beiträgen von u.a. Natascha Adamowsky, Hartmut Böhme, Gabriele Brandstetter, Franz Anton Cramer, Mark Franko, Günther Heeg, Sabine Huschka, Claudia Jeschke, Gabriele Klein, Volker Schürmann, Christina Thurner, Gerald Siegmund, S. 35-54
Sabine Huschka
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Kulturelle Entwürfe von Theatertanz. Historiographie und historisches Denken im 18. Jahrhundert. In: Christina Thurner, Julia Wehren (Hg.): Original und Revival. Geschichtsschreibung im Tanz. Zürich: Chronos Verlag 2010 (Materialien des Instituts für Theaterwissenschaft Bern (ITW), Bd 10), S. 117-134
Sabine Huschka
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Vom vergangenen Tanz Wissen. In: Nicole Haitzinger, Karin Fenböck (Hg.): DenkFiguren, Performatives zwischen Bewegen, Schreiben und Erfinden. Für Claudia Jeschke. München: Epodium 2010, S. 224-232
Sabine Huschka