Kriminologische Evaluation der Sozialtherapeutischen Anstalt Halle (Saale)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Strafvollzugsrechtliche Regelungen sehen seit 2003 eine sozialtherapeutische Behandlung von behandlungsfähigen Sexualstraftätern mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren vor, um das Rückfallrisiko dieser Tätergruppe gezielt zu reduzieren. Diese Evaluation hat die Arbeit der Sozialtherapeutischen Anstalt Halle (SothA) zehn Jahre begleitet und mehr als 400 Gefangene für die Teilnahme gewonnen. Aus unterschiedlichen Quellen (z.B. persönliche kriminologische Interviews, psychologische Testdiagnostik, BZR) wurden Informationen von drei Messzeitpunkten zusammengeführt, um die Problemlagen und Defizite der Gefangenen aufzuzeigen und zu überprüfen, ob diese Merkmalen durch gezielte Interventionen verbessert werden können und sich dies in einer positiven Legalbewährung niederschlägt. Hauptbestandteile der Sozialtherapie bilden ein Gruppenprogramm für (Sexual-) Straftäter und die Einzeltherapie. Aufgenommen wurden überwiegend Straftäter, deren Anlassdelikt eine Sexualstraftat (83%) war. Die Therapeuten bestätigen knapp der Hälfte der Probanden eine (mindestens teilweise) erfolgreiche Teilnahme an der Sozialtherapie. Knapp 30% haben einzelne Maßnahmen abgebrochen und bei fast 15% kam es zu einem gänzlichen Abbruch der Sozialtherapie und einer Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt. Eine moderate Veränderung einiger dynamischer Risikofaktoren ist messbar, so ist z.B. die Förderung von psychischer Gesundheit, Realitätsnähe und Verantwortungsübernahme gelungen, die Bearbeitung zwanghafter Tendenz und der Suchtproblematik jedoch nicht (erfolgt). Größte Schwierigkeit während der Therapie stellt das „nicht ausprobieren können“ der gelernten Inhalte unter „realistischen Bedingungen“ dar. Die Probanden erhalten kaum Vollzugslockerungen und starten erst nach der Haftentlassung mit der praktischen Umsetzung des Gelernten. Eine professionelle engmaschige Nachbetreuung, in der die therapeutischen Bemühungen fortgesetzt werden, gibt es für die meisten Entlassenen nicht, auch wenn mit der Einrichtungen der „Forensischen Ambulanz des Landes Sachsen-Anhalt“ Bemühungen in diese Richtung sichtbar sind. Insgesamt lassen sich bei der Betrachtung eines durchschnittlich 5,5jährigen Katamnese-Zeitraumes bezüglich der registrierten Rückfälligkeit keine entscheidenden Vorteile für die Probanden der Sozialtherapie gegenüber den Entlassenen anderer sachsen-anhaltischer Haftanstalten ausmachen. Erneute Sanktionen wurden für 42,4% der Untersuchungsgruppe und für 46,5% der Vergleichsgruppe ausgesprochen. Eine Sexualstraftat nach der Entlassung wurde für 6,7% der Probanden aus beiden Gruppen registriert. Abbrecher der Sozialtherapie weisen (mit Ausnahme von Verkehrsdelikten) keine erhöhte Kriminalität auf. Die Rückfallgeschwindigkeit ist für die Teilnehmer der Sozialtherapie mit ca. 19 Monaten geringer als für die Vergleichsgruppe mit ca. 14 Monaten. Die kleine Gruppe der mit einem Sexualdelikt rückfällig gewordenen Personen weist eine stärkere Ausprägung statischer und dynamischer Risikofaktoren auf und konnte von dem Angebot der SothA in geringerem Maße profitieren. Nach ihrer Entlassung zeigen diese Probanden größere Probleme bei der Integration in ein Berufsleben, finanziellen Angelegenheiten und bzgl. der eigenen Gesundheit. Außerdem sind sie weniger in vorhandenen Nachsorgeangeboten eingebettet. Aktuell wird die SothA als Abteilung einer anderen Justizvollzugsanstalt betrieben und sieht sich im Rahmen der Strukturreform des Justizvollzuges Sachsen-Anhalts vor weiteren Veränderungen. So bedarf es zwingend einer konzeptuellen Überarbeitung wie zukünftig sozialtherapeutische Arbeit in Sachsen-Anhalt gestaltet werden soll, wobei wissenschaftlich erarbeitete Indikationskriterien und empirisch bestätigte Wirkprinzipien wegweisend sein sollten. Es bleibt zu hoffen, dass damit ein Ausbau des sozialtherapeutischen Angebotes und der Weiterqualifizierung des Personals sowie eine Verbesserung der Entlassungsvorbereitungen insbesondere eine engere Zusammenarbeit mit den nachsorgenden Einrichtungen einhergeht. Die Abkehr von der Fokussierung auf eine bestimmte Tätergruppe hin zu einer prognostischen Auswahl der Teilnehmer, so dass nicht mehr das Anlassdelikt, sondern eine bestehende erhebliche Gefährlichkeit des Täters die Grundlage der therapeutischen Zuwendung bildet, stellt außerdem die Weichen für einen effektiveren Einsatz der knappen Behandlungsressourcen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2010) Sexistische Einstellungen – Ein Vergleich von Sexualstraftätern mit strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Personen. Zeitschrift Polizei und Wissenschaft, 1, 22-31
Niemeczek, Anja
- (2010). Das Klima im Strafvollzug. Eine Befragung von Gefangenen einer sozialtherapeutischen Einrichtung. Neue Kriminalpolitik, 1, 23-31
Seifert, S. & Thyrolf, A.
- (2012). Sexualstraftäter im Land Sachsen-Anhalt. Eine Vergleichsstudie im Maßregelvollzug, in der Sozialtherapeutischen Anstalt Halle (Saale) und im Regelvollzug. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 95 (3), S. 205-217
Niemeczek, A. & Richter, K.
- (2013). Der Umgang mit Sexualstraftätern – ein soziales Problem moderner Gesellschaften. Eine empirische Untersuchung zur Problembearbeitung im Strafvollzug und Reflexion gesellschaftlicher Erwartungen (Dissertation)
Seifert, S.