Einsatz gestützter inertialer Bewegungssensoren für die Lageregelung seilgeführter Handhabungssysteme
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Bei Kränen stellt die Vermeidung von Pendelschwingungen der Nutzlastplattform (NLP) hohe Anforderungen an die Geschicklichkeit des Kranführers. Zu seiner Entlastung könnten die Pendelschwingungen durch eine Regelung automatisch gedämpft werden. Für die Regelung werden Informationen über Soll- und Ist-Bewegungszustand der NLP benötigt. Den Soll-Bewegungszustand liefert der Kranführer oder eine Steuerung. Schätzungen des Ist-Bewegungszustands basieren auf mathematischen Schätzverfahren und verschiedenen Messungen. Wird neben der Lage auch die Geschwindigkeit der NLP bestimmt, so können zur Pendeldämpfung Lage- und Geschwindigkeitsregler eingesetzt werden, die gegenüber reinen Lagereglern eine bessere Regeldynamik liefern. Für die Erfassung des Ist-Bewegungszustandes der NLP kommen verschiedene Messverfahren in Betracht. Inertialmesssysteme messen Winkelgeschwindigkeiten und Beschleunigungen und können damit als Lageänderungs-Messverfahren bezeichnet werden. Pendelschwingungen, die zu laufenden Lageänderungen der NLP führen, lassen sich damit direkter erfassen als durch Lage-Messverfahren wie z.B. Bildverarbeitung, Radar oder GPS. Um aus den Inertialmessungen auch die Lage zu bestimmen, muss numerisch integriert werden. Durch Mess- und Integrationsfehler wächst der Schätzfehler einer so bestimmten Lage zeitlich rasch an. Daher werden zum Einsatz von Inertialmesssystemen zusätzlich so genannte Stützmessungen benötigt, die den Integrationsfehler begrenzen. Als Stützmessungen sind besonders Lage-Messverfahren geeignet, da deren Schätzunsicherheit zeitlich einigermaßen konstant ist. Im Rahmen dieses Projekts wurde der Einsatz von Inertialmesssystemen zur verbesserten Erfassung des Bewegungszustands der NLP des am Lehrstuhl für Technische Mechanik / Dynamik der Universität Rostock entwickelten seilgeführten Handhabungssystems CABLEV (CABle LEVitation) untersucht. Die durchgeführten Arbeiten lassen sich in zwei Teile gliedern. Der erste Teil befasst sich allgemein mit der Analyse und Identifikation der Fehler von Inertialsensoren und dient der Vorbereitung des zweiten Teils. Dessen Inhalt ist der Einsatz von Inertialmesssystemen am Kransystem CABLEV. Im allgemeinen Teil wurden zunächst die erforderlichen Bewegungsgleichungen der Inertialnavigation hergeleitet. Anschließend wurden Vereinfachungen für den kranspezifischen Einsatz vorgenommen, die aufgrund des beschränkten Arbeitsraums und der beschränkten Geschwindigkeit von Kränen möglich sind. Weiterhin wurden die systematischen und zufälligen Fehler von Inertialmesssystemen ausführlich untersucht, da mit dem geplanten Einsatz mikromechanischer "low-cost" Sensoren von vergleichsweise großen Fehlern ausgegangen werden muss. Hierzu wurden Verfahren zur quantitativen Beschreibung und Identifikation des zufälligen Rauschens von Sensoren im Zeit- und Frequenzbereich zusammengetragen und erarbeitet. Die Verfahren wurden an verschiedenen gekauften und selbst gebauten Inertialmesssystemen (IMU’s) erprobt und überprüft. Die erhaltenen Informationen dienen der Aufstellung von Rausch-Modellen, die in der späteren Navigationsrechnung zur Berücksichtigung der zufälligen Fehler der Inertialmessungen eingesetzt wurden. Die systematischen Fehler von Inertialmesssystemen wurden in Kennlinien- und Positionierfehler unterteilt. Kennlinienfehler wie Nichtlinearität, Nullpunkts- und Skalierfaktorfehler treten bei allen Arten von Sensoren auf und wurden aufgrund der schon existierenden Literaturlage nicht vertieft analysiert. Die Positionierfehler von Inertialmesssystemen bestehen aus Fehlausrichtungswinkeln und Exzentrizitäten. Zu deren Kompensation wurde eine so genannte Kompensationsgleichung hergeleitet. Anhand dieser Gleichung wurden in einer ausführlichen Fehlerbetrachtung einfache analytische Abschätzungen des verbleibenden Kompensationsfehlers in Abhängigkeit der Identifikationsfehler der Kennlinien- und Positionierfehler, des abzudeckenden Messbereichs der Inertialmessungen sowie der Schätzfehler weiterer eingehender Bewegungsgrößen gefunden. Diese Abschätzungen dienen der Bestimmung der erforderlichen Identifikationsgenauigkeit der Positionierfehler, wenn die restlichen Unsicherheiten gegeben sind. Geprüft wurden auch Vereinfachungen der Kompensationsgleichung wie z.B. die Linearisierung in den Fehlausrichtungswinkeln. Zur wertmäßigen Identifikation der systematischen Anteile der Kennlinien- und Lagefehler wurden mit geringen Kosten realisierbare Identifikationsverfahren entwickelt. Hierzu werden mit einem antriebslosen einachsigen Drehtisch bestimmte Bewegungen für eine IMU aus drei Kreiseln und drei Beschleunigungsmessern erzeugt. Der Vergleich von erwarteten und gemessenen Inertialgrößen ermöglicht die Aufstellung von Gleichungssystemen zur Bestimmung der Kennlinien- und Lagefehler. Aufgrund der Vielzahl von Messungen entstehen überbestimmte Gleichungssysteme, die durch Ausgleichsrechnung und hier konkret durch Kalman-Filter gelöst werden. Die Identifikation erfolgt aus Gründen der Beobachtbarkeit und Überschaubarkeit in mehreren Stufen. Die Identifikationsverfahren wurden an zwei IMUs getestet und durch Vergleich mit Herstellerangaben überprüft. Im zweiten Teil der Projekts wurde mit dem so genannten Navigationsfilter ein Schätzverfahren entwickelt, das mittels eines kinematischen Modells auf Basis der Inertialmessungen und der vorhandenen Sensorik von CABLEV und unter Berücksichtigung der Mess- und Modellfehler die gesuchte Lage und Geschwindigkeit der NLP bestimmt. Die Verbesserung der Schätzgenauigkeit wurde durch eine Parameterstudie überprüft, die zwei Varianten ohne Inertialmessungen, den Einsatz einer "lowcost" IMU und einer genaueren "Tactical-Grade" IMU beinhaltet. Gegenüber der ohne IMU erzielbaren Genauigkeit verringert die untersuchte "low-cost" IMU die Streuung der rotatorischen bzw. translatorischen Geschwindigkeitsschätzung um Faktor 25 bzw. 3 und die Streuung der rotatorischen Lageschätzung um Faktor 3. Die Schätzung der translatorischen Lageschätzung verbessert sich hingegen nicht signifikant. Die untersuchte "Tactical-Grade" IMU verbessert alle Größen außer der translatorischen Lageschätzung nochmals um jeweils mindestens Faktor 3. Erwartungsgemäß profitieren Geschwindigkeitsschätzungen stärker als Lageschätzungen und rotatorische Größen stärker als translatorische Größen. Inertialmessungen verbessern also die Geschwindigkeitsschätzung der NLP deutlich und sind zur Erfassung dynamischer Bewegungen wie das Lastpendeln geeignet. Die Genauigkeit statischer Lageschätzungen verbessern Inertialmessungen andererseits nur zum Teil. Die grundsätzliche Anwendbarkeit und der Nutzen so genannter integrierter Bewegungsmessverfahren auf die Steuerung von Kränen sind damit eindeutig nachgewiesen. Im nächsten Schritt geht es um die Realisierung einer Kranführung im Labormaßstab unter Nutzung der erzielten Ergebnisse, bevor anschließend ein real existierendes Kransystem mit einem integrierter Bewegungsmessverfahren ausgestattet werden sollte. Dies ist dann der entscheidende Schritt um über eine wirtschaftliche Verwertung der hier untersuchten Technologie zu entscheiden.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Eccentricity And Misalignment Correction Of A Low-cost IMU, GAMM-Jahrestagung 2006, Berlin
Meinicke, A
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Kompensation der Lagefehler der Inertialsensoren in einer IMU, Proceedings in Applied Mathematics and Mechanics, Volume 6, Issue 1, Seiten 103-104
Meinicke, A.; Woernle, C.; Wagner, J.
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Integrierte Bewegungsmessung bei Mehrkörpersystemen. Mechatronik-Kolloquium, Universität Rostock, 26.07.2007
Jörg Wagner