Postrevolutionäre Amerikanische Identitätsbildung in einem transnationalen Kontext
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die theoretischen Ausgangsüberlegungen für das Projekt führten zu der Prognose, dass postrevolutionäre nationale Identitätsbildung sich nicht nur bezogen auf Entwicklungen innerhalb der USA und in Abgrenzung von England vollzog, sondern auch in Reaktion auf die Verknüpfungen der USA mit anderen Regionen, speziell der Karibik, Lateinamerikas und des „Orients“. Diese Hypothese hat sich im Verlauf der Untersuchung bewahrheitet. Die untersuchten Texte haben sich im Hinblick auf die Instrumentalisierung von historischen, kulturellen und politischen Aspekten dieser Regionen für den Identitätsdiskurs als außerordentlich ergiebig erwiesen. Es wurde gezeigt, dass es in den drei Diskurskomplexen zu unterschiedlichen Zeiten zu diskursiven Verdichtungen kam, innerhalb derer Bezüge auf die jeweilige Region häufig und funktional erfolgten. Während die Karibik aufgrund der dort florierenden Sklaverei einen neuralgischen Punkt in der nationalen Identitätskonstruktion der USA und daher zunächst eine diskursive Leerstelle markierte, häufen sich ab 1790 infolge der Haitianischen Revolution die Bezüge auf Haiti und ab 1830 die Bezüge auf Kuba. Dabei ergab die Untersuchung der Texte zu Haiti eine deutliche Bifurkation der Interpretation der historischen Ereignisse: während der Großteil der anglo-amerikanischen Diskurse von Stereotypisierungen der schwarzen Bevölkerung und von Beschwörungen einer “schwarzen Gefahr” für die amerikanische Nation getragen war, nutzten afroamerikanische Autoren die Haitianische Revolution zur Konstruktion einer transnationalen schwarzen kollektiven Identität und zur im Laufe der Jahre immer offensiveren Kritik am Fortschrittsnarrativ der sie von den Bürgerrechten ausschließenden amerikanischen Nation. In diesen Diskurs stimmten ab ca. 1830 auch weiße abolitionistische Autoren ein. Mit dem zunehmenden expansionistischen Interesse der USA geriet Kuba ab ca. 1830 ins Blickfeld und wurde in den Folgejahren sowohl als attraktiver und für die USA erstrebenswertes Objekt als auch als bedrohliche Quelle der Kontamination nationaler Identität und Kultur - durch Rassenmischung, moralischer Verfall und religiöse Differenz (Katholizismus) - repräsentiert. Dabei reflektierten die Darstellungen Kubas nicht zuletzt tradierte Vorurteile über den Rivalen Spanien, dessen letzte verbliebene Kolonie in den Amerikas Kuba war. Lateinamerika erfährt in den Texten des Untersuchungszeitraums einen Funktionswandel vom mythischen Bezugspunkt präkolumbianischer amerikanischer Kontinental – und Nationalgeschichte him zum “Rohmaterial” expansionistischer Interessen. Wurden zunächst die indigenen Kulturen Mexikos und Perus als Vorläufer republikanischer Ideale gefeiert, kommt es um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert zu einer zunehmenden Exotisierung und damit Distanznahme. In den Dekaden ab ca. 1820 läßt sich eine zunehmende Negativ-Stereotypisierung des Indigenen sowie der Bewohner des Region insgesamt feststellen, wobei die Mehrzahl der untersuchten Texte sich auf Mexiko bezieht. Während das Ende der spanischen Kolonialherrschaft begrüßt wird, setzt sich sehr bald ein auf Differenzen bezüglich race, Kultur und Politik gegründeter Überlegenheitsanspruch durch, gepaart mit deutlichem expansionistischem Interesse. Zunehmend rücken damit auch republikanische Werte zugunsten ökonomischer Argumente, mit denen auch die Sklaverei gerechtfertigt wird, in den Hintergrund. Auch in Bezug auf Lateinamerika gibt es einen afroamerikanischen Gegendiskurs zu diesem dominanten Diskurs, in dem die Abschaffung der Sklaverei as progressives Potential der lateinamerikanischen Republiken hervorgehoben wird. Der Orient fungiert in den Texten des Untersuchungszeitraums zum einen als Kontrastraum, in dem vor dem Hintergrund der Konflike zwischen den USA und den “Barbary States” republikanische Ideale von Tugend, Demokratie, Männlichkeit und Mut ausgeleuchtet werden. Dabei begründet sich der Überlegenheitsdiskurs der amerikanischen Protagonisten zum einen auf politischen Ideale, zum anderen sehr deutlich auf den Faktor race, wobei die nichtweißen Figuren in den Texten häufig zur Stabilisierung des Konzepts whiteness fungieren. Interessanterweise wird die Sklaverei dabei vielfach als Teil der dem Orient zugeschriebenen “Tyrannei” diskursiviert, während Bezüge auf die Sklaverei in den USA über Parallelen der Darstellung (Sklavenauktion) hergestellt werden, ohnen dass diese Parallelen explizit benannt wurden. Zum anderen wird der Orient sowohl in abolitionistischen Diskursen wie auch in Texten mit feministischem Gehalt funktionalisiert, um die reklamierten Ideale von Gleichheit und Partizipation kritisch zu hinterfragen. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums finden sich zunehmend positive und unbedrohliches Bilder des Orients, die auf die spätere Exotisierung der Region in der am. Literatur verweisen. Während in den Texten des Untersuchungskorpus kaum diskursive Interkulturalität festzustellen ist, hat das Projekt eine Vielzahl der kulturellen Diskurse über die drei Regionen freigelegt und deren Beteiligung an den Verhandlungen nationaler Identität aufgedeckt. Dabei konnte gezeigt werden, wie zum einen Repräsentationen dieser Regionen zur Verhandlung nationaler Probleme funktionalisiert wurden, zum anderen, wie sich das zunehmende expansionistische Interesse der USA nach der Jahrhundertwende zum 19. Jh. in den Texten niederschlägt und zunehmend die Darstellungen der Karibik, Lateinamerikas und des Orients (mit)bestimmt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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"’The Darkest is Before the Break of Day’: Rhetorical Uses of Haiti in the Works of Early African-American Writers”. Atlantic Studies 4.1. (March 2007)
Gabriele Pisarz-Ramirez
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The Americas in the 19th Century – Inter-American Perspectives. American Studies/ Amerikastudien 1/2008. Heidelberg: Winter
Eds. Gabriele Pisarz-Ramírez und Markus Heide
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“Blurring the boundaries of gender: The strong “Spanish” woman as a motif in 19th century U.S. American female popular fiction”. American Studies/ Amerikastudien 1/2008
Gabriele Pisarz-Ramirez
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“Haiti and the Formation of Early African American Identities”. Transcultural Visions of Identities in Images and Texts. Eds. Wilfried Raussert und Reinhard Isensee. Heidelberg: Winter, 2008
Gabriele Pisarz-Ramirez
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“Nineteenth Century Literature and Inter-American Studies” Einleitung zum Themenheft The Americas in the 19th Century – Inter-American Perspectives. Amerikastudien/American Studies 1/2008
Gabriele Pisarz-Ramirez, Markus Heide
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“Precursors of Hemispheric Writing: Latin America, the Caribbean, and Early U.S. American Identity”. Transnationalism and the New Local. Eds. Francisco Lomelí and Marc Priewe. Palgrave/McMillan 2009
Gabriele Pisarz-Ramirez
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“Transculturation in Colonial North America: William Byrd's History of the Dividing Line”. Passagen. Hybridity, Transmediealité, Transculturalidad. Eds René Ceballos et al. Hildesheim, Zurich, New York: Georg Olms Verlag, 2010
Gabriele Pisarz-Ramirez
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“Visions of Columbus: Revolutionary poets and the creation of a (trans)national history”. Making National Bodies: (Non-)Conformism and the Early Republic. Eds. Astrid Fellner und Stefan Brandt. WvT Wissenschaftlicher Verlag Trier 2010
Gabriele Pisarz-Ramirez
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“Priests in Drag: Anti-Catholicism, gender and the (trans)national in Rosamond: or, a Narrative of the Captivity and Sufferings of an American Female under the Popish Priests, in the Island of Cuba”. Religion in the United States. Eds. Christine Gerhardt, Jeanne Cortiel, Kornelia Freitag, Michael Wala. Heidelberg: Winter, 2011
Gabriele Pisarz-Ramirez