Elektromechanisch induzierte Polarisations-, Ladungs- und Umpolungseffekte in Ferroelektrika am Modellsystem des geöffneten Risses: Nichtlineare Modellierung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Sprödheit ferroelektrischer Keramiken macht eine bruchmechanische Bewertung von Bauteilen aus diesen Materialien notwendig. Eine der Hauptfragen bei der Entwicklung neuer bruchmechanischer Konzepte, die im Ergebnis zu zuverlässigen Bruchkriterien führen sollen, ist die Frage, in welchem Maße elektrische Lasten auf den Bruch Einfluss nehmen. Bislang vorhandene Modelle sind nicht in der Lage, das im Experiment beobachtete Verhalten widerzugeben. Aus diesem Grund sollten in diesem Projekt offene Fragen (i) zu den elektrischen Eigenschaften des Rissspaltes, (ii) zur Rissinitiierung unter kombinierter elektrischer und mechanischer Last sowie (iii) zum Einfluss ferroelektrischen Umklappens auf die Entwicklung der kritischen mechanischen Lasten während des Risswachstums beantwortet werden. Zur Sicherstellung einer möglichst realitätsgetreuen Modellierung nahe an experimentellen Beobachtungen fand eine enge Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe um Prof. G.A. Schneider im Rahmen des parallel bearbeiteten DFG-Forschungsprojektes „Elektromechanisch induzierte Polarisations-, Ladungs- und Umpolungseffekte in Ferroelektrika am Modellsystem des geöffneten Risses: Experimente“ statt. Bei der Vermessung einer Bruchfläche in einer gebrochenen PZT-PIC151-Stabprobe wurde eine Vielzahl von gegenüber der Hauptbruchebene sehr stark geneigten Bruchflächenabschnitten festgestellt. Unter der Annahme, dass an diesen Stellen Rissbrücken auftreten, die zu dielektrische Kurzschlüssen zwischen den Bruchflächen führen, wurde die effektive dielektrische Durchlässigkeit des Rissspaltes in Abhängigkeit von der Rissöffnung bestimmt. Die effektive dielektrische Durchlässigkeit wurde mittels Homogenisierung auf einen Riss mit glatten Bruchflächen bezogen. Dazu wurde die Permittivität eines fiktiven Rissmediums in Abhängigkeit von der Rissöffnung bestimmt. Überraschenderweise steigt diese für kleine Rissöffnungen mit wachsender Rissöffnung anfangs an. Für PIC151 ergab sich eine maximale Permittivität von 46-mal größer als die von Luft. Die effektive dielektrische Durchlässigkeit hängt über der Bruchflächentopographie hinaus stark von der Permittivität der Keramik ab. Der Vergleich zwischen vorhergesagten und experimentell bestimmten elektrischen Spannungsabfällen an einer definierten Rissgeometrie lassen den Schluss zu, dass Rissbrücken tatsächlich für die erhöhte dielektrische Durchlässigkeit des Rissspaltes verantwortlich sind. Damit verlieren elektrostatische Bruchflächenkräfte ihre Bedeutung. Experimente zur Initiierung von Risswachstum durch den Projektpartner zeigten eine signifikante Abminderung der kritischen mechanischen Lasten und damit der Bruchzähigkeit der Keramiken infolge zyklischer elektrischer Kleinsignallasten. In einer gemeinsamen Auswertung wurde diese Abminderung in Abhängigkeit von der Amplitude und der Frequenz der elektrischen Last beschrieben. Es wurden Abminderungen der Bruchzähigkeit um bis zu 30% festgestellt. In einer numerischen Simulation des Risswachstums in einem ferroelastischen Einkristall wurden erstmals die Domänenbildung und -entwicklung unter Berücksichtigung des tatsächlichen Spannungsfeldes in Rissspitzenumgebung berechnet. Die Rechnungen lassen auf ein periodisches Wachsen nadelförmiger Domänen während des Risswachstums schließen. Zur Simulation des Risswachstums unter Berücksichtigung von Umklappen in ferroelektrischen Keramiken (Polykristallen) machte die Entwicklung robuster numerischer Methoden zur Berechnung des nichtlinearen ferroelektroelastischen Materialverhaltens notwendig. Die bekannten Konvergenzschwierigkeiten bei der Verwendung des elektrischen Skalarpotenzials als FE-Freiwert konnten durch die Entwicklung gezielter Modifikationen des Newton-Raphson-Verfahrens beseitigt werden. Über die Risssimulation hinaus erlauben die entwickelten numerischen Methoden die Berechnung des Großsignalverhaltens von ferroelektrischen Keramiken in komplexen Bauteilen. Die konsequente Hinterfragung der physikalischen Grundlagen einparametrischer Bruchmodelle zur Vorhersage von R-Kurven in Materialien mit begrenzten nicht elastischen Dehnungen führte zur Formulierung einer Bedingung für die Gültigkeit dieser Modelle. Damit konnte gezeigt werden, dass einparametriche Bruchmodelle nicht für die Vorhersage von R-Kurven für typische ferroelektrische Keramiken verwendet werden können.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Continuum analysis of the nucleus growth of reverse domains in large ferroelectric crystals, Journal of Applied Physics 105 (2009) 084115.
P. Neumeister, H. Balke, D.C. Lupascu
- Effect of switching stresses on the domain evolution during quasi-static crack growth in a ferroelastic single crystal, Acta Materialia 58 (2010) 2577-2584.
P. Neumeister, H. Kessler, H. Balke
- Influence of small cyclic and DC electrical loads on the fracture toughness of ferroelectric ceramics, Journal of the European Ceramic Society 31 (2011) 531-540.
A.R. Engert, P. Neumeister, M. Mecklenburg, H. Jelitto, H. Balke, G.A. Schneider
- Effective permittivity of air- filled cracks in piezoelectric ceramics due to crack bridging, Acta Materialia 61 (2013) 1061-1069.
P. Neumeister, M. Jurisch, H. Jelitto, A. R. Engert, G. A. Schneider, H. Balke
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.actamat.2012.10.006) - Modifications of the Newton-Raphson method for finite element simulations in ferroelectroelasticity, International Journal of Solids and Structures 50(2013) 773-780.
S. Stark, S. Roth, P. Neumeister, H. Balke
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.ijsolstr.2012.11.008) - On the prediction of R-curves for ferroelectroelastic ceramics, Journal of Applied Mechanics. J. Appl. Mech 81(2), 021012 (Sep 16, 2013) (8 pages). Paper No: JAM-13-1094
Sebastian Stark, Peter Neumeister and Herbert Balke
(Siehe online unter https://doi.org/10.1115/1.4024416)